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burg in Wien, in der alten Favorite, wo ihre Rest= denz war, und in Larenburg, wo die Frühjahrssaison abgehalten ward, ein eben so galantes Leben als an anderen Höfen geführt. In Massen war der östreichische Adel nach dem dreißigjährigen Kriege in der fünfundzwanzigjährigen Friedenszeit bis zum ersten Krieg mit Ludwig XIV. und dann wieder in der zehnjährigen Friedenszeit zwischen dem Nymweger und Rys= wicker Frieden nach dem Venusberg in Paris hin gepilgert und mit überreicher Belehrung, in alle Debauchen desselben eingeweiht, nach der Heimath zurückgekehrt. Die Herzogin von Orleans schreibt unter andern ausdrücklich, daß ihr ihr Bruder Carl Luz, der die Türkenkriege in Ungarn mitgemacht hatte und 1689 in Morea gefallen war, vertraut habe, wie ganz Destreich von der neuen französischen Mode voll sei, die jungen Männer als Jungfrauen anzusehen und sie,,die Damen agiren" zu lassen. Meint Ihr, liebe Annelise, schreibt sie unterm 3. September 1708 aus Meudon an ihre Schwester, die Raugräfin, daß in der Armee (die Oestreicher standen am Rheine damals) nicht auch viel böse Buben sein, so dieselbe Inclination. haben, wie die Franzosen, wenn Ihr das glaubt, be= trügt Ihr Euch sehr. Carl Luz hat mir auch _ver= zählt, daß ganz Destreich voll von solchen Lastern ist." Das schöne Schwarzköppel Ca rl Luz mußte mit Gewalt der ihm zugemutheten Begehrlichkeiten sich erwehren. Wie allgemein selbst in den hö= heren und höchsten Kreisen diese neue französische Mode war und blieb, beweisen die anderweiten Zeugnisse der

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Herzogin, die sie über den Obristhofkanzler Sinzendorf, als er Envoyé in Paris war, und selbst über den großen Prinzen Eugen, als er den geistlichen Habit quittirte, beibringt.

Fürst Lobkowiß war entschieden darauf ausgegangen, französischer Sprache und französischer Sitte das Uebergewicht in Destreich über die spanisch-scheinheilige Grandezza zu verschaffen. Die Reaction, die Lobkowih stürzte, und die von der tyrolischen Gemahlin Leopold's, der Kaiserin Claudia, deren Galan= terien er durchhechelte, und von den Jesuiten ausging, die Verbindung mit den beiden kezerischen Seemächten, die das Fundament der Politik Oestreichs seitdem wurde, die Kriege mit Frankreich, die Türkenbelagerung Wiens, die in den legten Zeiten Leopold's bis ins Chinesische hin getriebene Ceremoniel - Versteifung des Kaisers, die übertriebene Devotion seiner dritten Gemahlin, der neuburgischen Eleonore alles das hielt äußerlich, sichtbar am Wiener Hofe französisches Wesen ganz ent= schieden fern und nieder. Die galanten Sitten Frankreichs aber wucherten im Geheimen um so verführerischer fort und nahmen nur nach und nach das durch die spezifisch katholische religiöse Tingirung des öftreichischen Kaiserstaats auf der einen und die Nachbarschaft des Orients mit den spezifisch muhamedanischen Freuden ganz eigenthümlich gefärbte Wesen, jenes ins reizendste clair obscur getauchte Wiener Colorit an, das sehr reelle und deliciöse stille Vergnügungen bot, bis auf die Tage von Genz und Metternich herunter.

Kaiser Joseph I. war schon ein Herr, der die

Franzosen persönlich sehr gern um sich hatte, wie denn der französische Gesandte Villars ein bei ihm sehr beliebter Mann war. Abgesehen davon, daß er mit den Franzosen, die dem Hause Habsburg Spanien nehmen wollten, sehr ernsthaft Krieg führte und, um die Würde und Gravität eines deutschen Kaisers aufrecht zu erhalten, das strengste spezifisch spanisch - deutsche Hofceremoniel, das es nur jemals gab, aufrecht erhielt, war Joseph im Uebrigen ganz ein Herr nach der neuen Mode, der alle Galanterien eines französischen voll= endeten Cavaliers trieb. Und der lezte Habsburger Destreichs vollendete die Nachahmung der berühmten französischen Hof- Mode so vollständig und so sichtlich, daß er, wie aller Welt bekannt war, die spanische Althann mit Gutheißung seiner Jesuiten sich als Maîtresse en titre zu der schönen und auch geliebten Elisabeth von Braunschweig zuhielt eben so wie der erste König von Preußen damals die Kolbe = Wartenberg zu der schönen und geistreichen Char= lotte von Hannover. Der Hofkanzler Sinzen = dorf war ein durch und durch französisch parfümirter Cavalier, der an der Tafel und am Spieltisch), in den Salons und in den Boudoirs seinen Mann troß dem galantesten Franzosen stellte. Und selbst einer der verstaubtesten Haarbeutel aus der Hofkanzlei, der akten= selige steife Bartenstein, war so ertrunken französisch, daß einmal der englische Gesandte Robinson von ihm schrieb:,,he is french mad."

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Lady Montague, die Wien im Jahre 1716 sah, fiel namentlich das ungeheure Phlegma auf, das

dem Wiener Phäakenleben einen so ganz eigenthümlichen Anstrich verlieh. ,,Dieses Phlegma, sagt fie, herrscht durch und durch in Wien, es herrscht selbst in den Liebesabentheuern und in den Streitigkeiten der Wiener. Es verläßt sie nie, ausgenommen, wo es einen Ceremonielpunkt betrifft. Denn das Ceremoniel ist das Einzige, was bisweilen in Wien die Leute in Harnisch noch bringt. So trafen sich neulich zwei

man fuhr

Damen des Abends mit ihren Wagen gewöhnlich sechsspännig in einer engen Straße. Es fragte sich, an wem es sei, zurückzuweichen; feine der Damen wollte sich etwas vergeben; sie blieben, indem sie sich muthigst das Terrain streitig machten, bis Nachts zwei Uhr, und jede würde bis auf die lezte Stunde der andern geblieben sein, wenn nicht der Kaiser die Wache geschickt hätte, um sie allendlich auseinander zu bringen. Das hielt sehr schwer und ge= lang nur damit, daß beide Damen in demselben Moment in herbeigebrachte Chaisen einstiegen. A18 ste weggetragen waren, ging ein neuer Ceremonielstreit zwischen den beiden Kutschern an und es war nicht minder schwer, diese auseinander zu bringen. Stirbt der Mann einer Wiener Dame, so kommt sie in Verzweiflung; damit hören alle ihre Prätenfionen auf, denn in Wien haben die Wittwen keinen Rang. Eben so delicat, wie die Frauen, find die Männer im Geremonielpunkt. Keiner heirathet eine Frau, die nicht aus so vornehmem Stande, als er selbst ist; ja kein Mann hält sich eine Maitresse von geringerem Stande. Sie sehen auf die Wappen wenigstens eben so viel, Deftreich. VII,

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als auf Teint und Gesicht. Glücklich die, die einen Reichsfürsten zu ihren Vorfahren zählt, fie findet, bestimmt einen Mann, und ihr Rang erseht Aussteuer, Schönheit und Verstand." Solche insigne Mißhei= rathen, wie sie Lady Montague an der Erbin des Hotspur Percy, die den Enkel eines Kutschers heirathete, erlebte, waren in Destreich ungemein selten: ein ähnliches Beispiel lieferte einmal das sechszehnte Jahrhundert, die Wittwe des 1566 zu Szigeth gefallenen Nicolaus Zriny, Eva von Rosenberg, reichte ihre Hand einem Italiener Gasoldo.

,,Es ist, erzählt die Lady weiter, die feststehende Gewohnheit in Wien, daß jede Frau von Stande zwei Männer habe, einen, von dem sie den Namen führt, und den andern, der die Pflichten des Che= manns ausübt. Und diese Verbindungen sind so allgemein bekannt, daß es eine bitterböse Beleidigung, für die man Genugthuung verlangt, sein würde, wenn man eine Dame zum Diner einladen wollte, ohne zu gleicher Zeit ihre beiden Zugehörungen, den Liebhaber und den Mann einzuladen, zwischen welchen sie mit großer Ehrbarkeit mitten innen paradirt. Coquetten und Prüden giebt es hier nicht. Keine Frau wagt es, zwei Liebhabern zu gleicher Zeit Hoffnung zu geben. und keine ist so prüde, daß sie Treue zum Gesez macht. Die angetrauten Männer sind das beste Völkchen auf der Welt, sie sehen die Galants ihrer Frauen so freundlich an, als ihre Deputirten, die die Laft und Mühe ihrer Pflichten ihnen abnehmen. Diese Unterheirathen dauern in die zwanzig Jahre lang fort, und während

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