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Das „,quod te restituis atque ipsa refers te nobis", wovon carm. 107 redet, haben wir von einer schriftlichen Erklärung der Lesbia zu verstehn; darauf folgt nach der mit diesem Gedichte gegebenen Erwiderung Catulls eine persönliche Vereinigung, wo ihm Lesbia die ewige Dauer ihres Verhältnisses beschwört. Dies ist das incundum mihi proponis amorem des Gedichtes 109. Catull fleht die grossen Götter an, dass das Versprechen der Lesbia ein wahres und aufrichtiges sei, und dass der neubeschworene Bund heiliger Liebe nur mit dem Lebensende aufhöre. Und daran schliesst sich das launige Gedicht 36.

Versöhnungs-Opfer.

36. Annales Volusi, cacata charta,
votum solvite pro mea puella:
nam sanctae Veneri Cupidinique
vovit, si sibi restitutus essem
desissemque truces vibrare iambos,
electissima pessimi poetae

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scripta tardipedi deo daturam
infelicibus ustulanda lignis,

et hoc pessima se puella vidit
10 iocose lepide vovere divis.
Nunc, o caeruleo creata ponto,
quae sanctum Idalium Surosque apertos
quaeque Ancona Cnidumque arundinosam
colis quaeque Amathunta quaeque Golgos
quaeque Durrachium Adriae tabernam,
acceptum face redditumque votum,

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si non inlepidum neque invenustum est.
At vos interea venite in ignem,

pleni ruris et inficetiarum

20 annales Volusi, cacata charta.

Ihr Schriften des Volusius, verfluchte Dreckpapiere, herbei, dass ihr Gelübde jetzt mein Liebchen absolvire. Denn solches that der Venus sie und deren Sohn versprechen: hielt sie mich wieder fest im Arm und hätt' ich mit den frechen

Spottversen endlich aufgehört, dann solle sie's nicht reuen, die Schriften des Volusius dem Flammentod zu weihen, da sollt die trockne Poesie auf dürrem Holze schmoren das lose Kind, es wusste wohl, daran sei nichts verloren. Jetzt also, Venus, die dich einst die blaue See geboren, die du das weite Syrien und Amathnuth bewohnest," in Golgi und Idalium und auf Ancona thronest

und Cnidus und Dyrrhachium mit deiner Huld belohnest, sei hold auch uns: die Theure will jetzt ihr Gelübde lösen, denn wohlgefällig ist es dir doch sicherlich gewesen. Fort in die Flammen, ekelhaft und widerlich Geschmiere, ihr Schriften des Volusius, verfluchte Dreckpapiere.

Lesbia hatte gelobt, die langweiligen Annalen des Volusius dem Feuertode zu weihen:

Si sibi restitutus essem

desissemque truces vibrare iambos.

Diese Ausdrücke enthalten eine entschiedene Hindeutung auf die vorhergehenden Gedichte. Si sibi restitutus essem ist dasselbe, wie carm. 107 quod te restituis, und die truces iambi sind keine anderen als die Choliamben des Gedichtes 8, in welchen er droht trotzig zu sein. Der weitere Inhalt des Gedichtes ist dann der, dass der Venus zu Ehren, bei welcher das Gelübde der Lesbia abgelegt war, die Gedichte des Volusius in die Flammen geworfen werden. Wozu dies litterärische Autodafe? Es ist so eigenthümlicher Art, dass wir schliessen müssen, jener Zwist, der nun glücklich beseitigt ist, war aus einer Meinungsverschiedenheit auf litterarisch-ästhetischem Gebiet entstanden. Lesbia las die Gedichte des Volusius gern, die der neuen Richtung und dem geläuterten Geschmacke des Catull nicht zusagten. Darüber der Zank, bei dessen Ausgleichung Volusius als Opfer fällt.

Das kleine Gedicht 86 ist nicht ein Preislied auf die Geliebte, welches blos durch den Gedanken an ihre Liebenswürdigkeit motivirt wäre, sondern persönlicher Natur, provocirt durch das Lob, welches ein Anderer der Quintia gespendet hatte. Der Dichter kann es nicht so hingehn lassen, dass ein anderes Weib schöner als Lesbia sein soll. Das Gedicht hat nicht Wärme genug, um in die Zeit der Gedichte 2,

3, 5, 4 versetzt zu werden; andrerseits aber passt der Ton, in welchem Catull hier von Lesbia redet, nicht zu den Gedichten der späteren Epoche, und so müssen wir ihm denn an dieser Stelle seinen Platz anweisen, vor oder unmittelbar nach carm. 68.

Zweites Capitel.

Der Tod des Bruders.

Von on jetzt an kommt noch ein anderes Motiv in die Catull'schen Lieder. Catull war nach Verona gereist zu den Seinen; es sollte nur ein kürzerer Besuch sein; von seiner grossen Bibliothek hatte er nur eine einzige capsula mitgenommen (68, 36). Ueber die Mitglieder seiner Familie finden wir in seinen eigenen Gedichten nur wenige Angaben; aber wir wissen aus Sueton. Julius 78, dass damals sein Vater noch lebte; denn noch im Jahre 54 ist er der hospes des Cäsar, wenn dieser als Statthalter von Oberitalien sich in den Wintermonaten zu Verona aufhielt, und vielleicht hat der Vater den Sohn noch überlebt. Ausserdem hat Catull noch einen Bruder (und zwar nur diesen einen, wie aus 68, 94 hervorgeht), dem er in grosser Liebe zugethan war. Dieser Bruder war nach Kleinasien gereist; wahrscheinlich hatte er sich, wie später unser Dichter, dem Comitate eines Statthalters nach dem Orient angeschlossen. Da kam die Nachricht nach Verona, der Bruder sei in der Landschaft Troas gestorben; dort war er, nahe dem Vorgebirge Rhöteum, der mythischen Grabstätte des Ajax, bestattet (68, 89. 65, 5). Die Trauer über diesen Verlust bewog Catull, seinem früheren Vorhaben gemäss, sofort nach Rom zurückzukehren. Die Gedichte, die dem Andenken des Bruders gewidmet sind, gehören zu den Dichtungen, in welchen uns der Dichter von seiner liebenswürdigsten Seite gegenüber tritt; es thut uns diese Anhänglichkeit an den Bruder und an die Familie doppelt wohl bei der Zerrissenheit seines übrigen Lebens, wo er den Fond der Liebe nur zu häufig an Unwürdige vergeudet hat. Catull schreibt keine thränenreichen Lobgedichte auf den Hingeschiedenen; dazu ist seine Liebe zu wahr und zu innig, nur in der Correspondenz, die er von Verona aus zu eben dieser Zeit mit

seinen auswärtigen Freunden führt, finden die Klagen um den Verstorbenen zunächst von selber ihre Stelle.

An Q. Hortensius Ortalus.

65. Etsi me assiduo confectum cura dolore sevocat a doctis, Ortale, virginibus,

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nec potis est dulcis Musarum expromere fetus
mens animi, tantis fluctuat ipsa malis:
Namque mei nuper Lethaeo gurgite fratris
pallidulum manans alluit unda pedem,
Troia Rhoeteo quem subter litore tellus

ereptum nostris obterit ex oculis.

Alloquar, audibo nunquam te suave loquentem,
nunquam ego te, vita frater amabilior,
aspiciam posthac. at certe semper amabo,

semper maesta tua carmina morte canam,
qualia sub densis ramorum concinit umbris
Daulias absumpti fata gemens Itylei:

15 sed tamen in tantis maeroribus, Ortale, mitto
haec expressa tibi carmina Battiadae,
ne tua dicta vagis nequicquam credita ventis
effluxisse meo forte putes animo.

Zwar hat die Sorge mich durch stete Pein verzehrt,
hat mir der Musen Gunst, o Hortalus, verwehrt,
und meines Geistes Kraft für eignen zarten Sang,
sie ist dahin bei solchem Unheilswogendrang.

Hat ja des Lethestrudels Welle jetzt

des lieben Bruders bleichen Fuss benetzt.

ihn, der für ewig meinem Aug' entschwand, den jetzt Rhöteuos Ufer birgt in Trojas Land. Anreden dich, dir lauschen, wenn du hold

uns plauderst, werd ich nimmer, nie dich wiedersehn, mein vielgeliebter Bruder, aber nie vergehn

wird meine Liebe, stets wird dir gezollt

ein Trauerlied, das deinem Tod ich singe,
wie in der Zweige tiefem Schatten Trauerschall
um ihren Itylus entströmt der Nachtigall.

Und dennoch, Hortalus, bei solchem Jammer bringe
ich dir Dallimachus Gesänge, übertragen

in unsre Sprache, denn du sollst nicht sagen,
dass deine Mahnung nicht zu meinem Herzen dringe,
dass sie ein flüchtger Windeshauch davongetragen.

Seinem Freunde Ortalus hatte er vor seiner Abreise von Rom eine Uebersetzung callimacheischer Gedichte versprochen. Dies ist nicht der jüngere Q. Hortensius Ortalus, der in der Schlacht bei Philippi seinen Tod fand (Drumann 3, 108), sondern Q. Hortensius der Vater, der berühmte Redner und Sachwalter, der ebenfalls das cognomen Ortalus führt (ad Attic. 2, 24; 4, 15) und um diese Zeit etwas über 50 Jahre alt war. Hortensius ist ein Freund der Poesie, ist selber Dichter (Ovid. Trist. 2, 441; Gellius 19, 4), und wenn auch späterhin das Verhältniss zwischen ihm und Catull, wo sich der Dichter über die schnell zusammengeschriebenen Verse des Hortensius nicht eben günstig auslässt (95, 3), kein freundschaftliches war, so scheint doch zu der Zeit, wovon wir reden, der ältere Hortensius den jüngeren Dichter protegirt zu haben, und Catull weiss diese Gönnerschaft des angesehenen Mannes sehr wohl zu würdigen. Obwohl der Schmerz um den Tod des Bruders ihn von selbstständigen Productionen abhält, so ist er doch der Beschäftigung mit den Alten nicht hinderlich: so entstehn die Uebersetzungen callimacheischer Gedichte (c. 65 haec expressa tibi carmina Battiadae), wovon uns die coma Berenices (c. 65) noch erhalten ist. Catull sendet sie an Hortensius mit einem kurzen Briefe, worin er ihn von dem Tode seines Bruders benachrichtigt (c. 65); daraus sehen wir, dass dieser dem Hortensius bei Catulls Abreise von Rom noch unbekannt war. Dieser kleine Brief, ein einziger langer Satz, ist, wie kaum ein anderes Catullisches Gedicht, der Ausdruck unmittelbarster Stimmung. Catull fängt seinen Brief nicht mit einer Darlegung seiner Verhältnisse an, sondern spricht gleich zu Anfang von seinen Schmerzen, ohne zu sagen, woher dieser Schmerz, und erst im fünften Verse giebt er mit namque den Grund dafür an; dann folgt parenthetisch, den Vordersatz vom Nachsatze trennend, eine Allocution

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