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Murbach, die Zerstörung der Burg Tannenberg oder Anderes der Art darin Raum fand.

Das Volk war damals des Schreibens unkundig, es bewahrte seine Geschichte in Liedern oder mündlicher Ueberlieferung. Herr Oberst Nüscheler sagt in einem Briefe vom 6. Juli 1858 sehr gut: „Wer die Tradition nicht anerkennen will, der vergißt, daß mündliche Ueberlieferung weit älter ist, als das geschriebene Wort; daß solche überall vorhanden, wo die Menschen dem Naturzustande noch näher sind, namentlich bei deutschen Volksstämmen, daß die ältern deutschen Gesezbücher nichts Anderes sind, als Aufzeichnung weit älterer, ungeschriebener Rechtsgewohnheiten.“

Wie sehr das Volk von Uri von Alters her an sei= nem Tell hing und, nicht mit Unrecht, noch hängt, zeigt uns Dr. Karl Franz Luffer's, des gewesenen Landammanns von Uri, Geschichte des Kantons Uri 1862, in welcher die Tellsage, meist nach Joh. v. Müller, sehr ausführlich behandelt wird, obwohl der sel. Herr Verfasser ein Freund Hrn. Dr. J. E. Kopp's war. Er erzählt Seite 55: „Wagte früher zur Seltenheit Einer Zweifel gegen die Tellsage, so mußte er öffentlich Abbitte leisten und seine Schriften wurden öffentlich durch Henkershand verbrannt."

Die neuere Zeit hat freilich auch in Betreff historischer Kritik milderes Verfahren eingeleitet.

Der auf den Tellschuß sich hebende Streit, von welchem Ruß spricht, ist, wie die Erzählung von Tell selbst, sagenhaft, d. h. durch keine geschriebenen alten Quellen beglaubigt; obwohl sich nicht läugnen läßt, daß das plög

liche Verschwinden des Vogtes zu Volksbewegungen in Schwyz und Uri Anlaß gegeben haben dürfte. Es find auch andere Sagen von einem strengen Vogte bei uns im Volke, so z. B. im stillen, abgeschlossenen Thale Iberg eine von einem Vogte zu Schwyz, welcher seinen eigenen Sohn, der zu Jberg auf einer Burg hauste, begangener Blutschuld halber hinrichten ließ, und für dessen Seelenheil noch heutzutage jährlich, wie ein schönes Gedicht Pater Gall Morel's, II. Samml. 131, uns meldet, ein Bittgang nach Jberg gehalten wird. Die Burgen Lowerts (Schwanau), Twing Uri bei Steeg und Iberg erzählen uns aus ihren Ruinen sagenhaft, wie die Tellenplatte, aus einer Zeit, an welche keine Urkunde, keine Chronik hinaufreicht, Dinge, welche wohl nach dem Tode des Vogts dürften geschehen sein, die aber die Geschichte meiner Ansicht nach weder zu bejahen noch zu verneinen vermag.

II. Das Volk

wird in der Zeit der Merowinger und Karolinger strenge in Herren und Knechte, oder Freie und Leibeigene geschieden. G. B. v. Maurer's Lehenhöfe 1862. I, 187. So lange dieser Zustand dauerte, d. h. nur die Freien das Recht besaßen, Waffen zu führen, konnte von einer Volkserhebung in Wort oder That natürlich keine Rede sein, sofern man die allgemeine Masse darunter versteht nach jeßigem Begriffe, denn nur die Freien bildeten damals das Volk.

Dieser aus der siegreichen Einwanderung der Alemannen und Franken herrührende Zustand wurde bekanntlich durch das segenreiche Wirken der christlichen Kirche, die Bewaffnung der Ministerialen unter Heinrich I., die Einführung des Lehenwesens und ganz besonders in der frühern Zeit der Stauffenkaiser, Kunrad's und Friedrich's I., durch die Kriege jenseits der Alpen, wo bei uns manch' armer Knecht sich in den Ritterstand empor hob, geebnet.

Volkserhebungen kommen schon früher vor; man erinnere sich an Heinz von Stein 992, an die Auflehnung des sächsischen Volkes 1073 und die Zerstörung der Harzburg (Gfrörer's P. Gregor, Band VII, 3—47.), an den Aufstand zu Köln 1074-76, die Selbsthilfe der Schwyzer gegen Einsiedeln 1114-44, an die Auflehnung gegen den Grafen Hugo von Dagsburg 1122 und die Schlacht von Molsheim (Stälin II, 284; Perg VIII, 759.), die Vorgänge in Mainz 1158-62, die BernerOberländer 1191 gegen Herzog Berchtold V. von Zäringen, die Stedinger 1233 und viele andere Erhebungen unter Friedrich II. bis herab zu dem schon berührten Mordversuche gegen den Vogt von Küßnach 1302.

In der Stauffenzeit bildeten vier Stände das Volk: I. der alte Landadel, dessen Ahnen das mals bis in die Zeit der Karolinger und Ottonen hinaufreichten; dazu gehörten die alten freigebliebenen Landsassen mit bedeutendem Grundbesite.

II. Der Ritterstand, sowohl die ältern Reichsritter, als die weit zahlreichern Ritter aus der kriegerischen Stauffenzeit. Obwohl diese Leute meist von GrundTell - Sage.

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holden der Gotteshäuser und Herrschaften abftammten, hob sie ihr Heerschild und Ansehen dennoch weit über die Kaste ihrer Geburt oder ältern Vorfahren. Sie vertraten, wie wir bei Arnold von Aa sehen werden, bet Mangel der Freiherrn, oft die Landpflege oder Vogtei des Reiches.

III. Die Bürger der Städte und freien Bauern in den hörigen Landen. Obwohl wir in unsern Städten des Reiches Bern und Zürich z. B. nicht jene unabhängige Munizipalverwaltung finden, wie in Italien, sondern der Schultheiß und Reichsvogt vom Kaiser oder Könige, wie der Ammann oder Pfleger in den Reichslanden gesegt wurde; genossen die Bürger doch mehr und mehr Freiheiten, wie ihre Waffentüchtigkeit in Köln und auch den obern Landen, so auch ihr Reichthum sich entwickelte, so zwar, daß sie in spätern Zeiten selbst die Lehensfähigkeit für kleinere Reichsgüter erwarben.

IV. Die legte Stufe des Volkes bildeten die Gotteshausleute in Städten und Ländern, deren frühere Besiglosigkeit durch Nachlaß des Gelässes (totales Erbe an die Grundherrschaft in der Karolingerzeit) und andere Rechtserwerbungen, z. B. Zulassung als Zeugen gegen höhere Stände, Eigenthumsrecht von Grundstücken und Stimmberechtigung auf den Dingtagen, so weit gemildert war, daß sie der heilige Kaiser Heinrich schon freie. Leute" nannte. (J. E. Kopp, Urk. I, 93.) Ein Volk, als Stand, kennt noch weder Sachsen- noch Schwabenspiegel. Wer nicht zu diesen vier Ständen gehörte, sondern einem weltlichen Herrn eigen war, der zählte nicht zum Volke, durfte und mußte auf den Gerichtstagen des

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Hofes, zu dem er gehörte, erscheinen, aber nur um seinen Grundzins zu entrichten und sein Lehen zu empfangen, wenn es fällig geworden *). Nur gegen Seinesgleichen konnte der Eigenmann als Zeuge oder Rechtsperson auftreten. In bewegten Zeiten thaten, wie Jrminger von Frick, auch Gotteshausleute sich hervor. Wurstemberger alte Landsch. Bern II, 38. und Beil. 3.

Was nun Tell betraf, berichtet die Sage keineswegs, welchem Stande er angehörte. Gewiß gab es zu Bürgelon, wie anderswo, noch alte freigebliebene Landsassen, * wie die am Luß, jeßt Luffer, u. a. m., wenn auch, wie überall, Verehlichung mit Töchtern von Gotteshausleuten deren Zahl schon bedeutend vermindert hatte. War aber Tell auch nur ein Gotteshausmann der Abtei, so konnte er dennoch ein angesehener Mann sein, dem zu lieb man in Altdorf die Gemeinde versammelte, um seine Klage zu hören.

Alle vier Meicrämter im Thale Uri bildeten eine Gemeinsamkeit und darin lag ein gewaltiger Entwickelungskeim zu sozialen und politischen Fortschritten des Thales Uri.

*) Ein Bild solcher Eigenleute in den Waldstätten bietet in Betreff ihrer Abgaben das Urbarbuch, herausgegeben von Dr. Frz. Pfeiffer in dem Bande 19 des Stuttgarter litter. Ver. Seite 94: „Die Rechtunge über den Hof ze Gersowe." Der Hof zinset jährlich 32 Ziger (d. i. füße Käse), deren jeder 5 Schillinge gilt, 31 Lämmer zu 18 Pfenningen, 6 Geißhäute zu 18 Pfenningen, 50 Ellen graues Tuch, die Elle zu einem Schillinge, 3000 Weißfische, das Hundert derselben zu einem Schillinge gerechnet, 31 große Ballen, das Stück zu drei Pfenningen. Die Vogtsteuer trug 13 Pfund. Dazu Fall und kleine und große Gerichte.

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