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auf's Neue zu zeigen Gelegenheit fanden. Frei sowohl in ihrer persönlichen Beziehung, wie auch als zu einem Königshofe gehörend, später als Gotteshausleute der Abtei Zürich, saßen diese Mannen auf ihren Höfen, über welche keine Macht, als die des Himmels bis anhin gewaltet hatte, mit Ausnahme etwa der Lenzburger.

So war Tell bisher gewöhnt, nur vor Gott sein Knie zu beugen, als ein gräflicher Untervogt, dessen Vorältern vielleicht nicht einmal von freier Geburt waren, in's Land fuhr, begann eine Burg zu bauen und zu walten, als ob das freie Ländchen der St. Felir und Regula-Leute zu Uri von nun an ein gräfliches Unterthanenland wäre.

Unerhört war seit Jahrhunderten der Uebermuth eines Untervogtes in Uri, wo die alten alemannischen Landsassen seit drei Jahrhunderten auf ihren Gehöften frei wie kleine Könige an den Dingtagen nach ihrem alten Hofrechte und dem Urtheile ihrer Genossen zu leben und stets in Waffen zu gehen gewöhnt waren.

Die Meier der Aebtissin hatten seit 953 die Verwaltung selbst über Hörige mit Milde gelenkt; nun auf einmal sollten die freien Landsassen neben ihrer wahrhaft gnädigen Frau, der Aebtissin, einen ungnädigen gräflichen Untervogt als ihren Herrn anerkennen.

Sollte auch, wie wir Seite 21 zum Jahre 1065 angedeutet haben, früher etwa ein Kastvogt der Aebtisfin, ein Lenzburger, und danach der Pfalzgraf Otto von Burgund in Uri Dingtage gehalten haben, so waren diese von kurzer Dauer, jedenfalls blieb keine weltliche Herrschaft auf einer Burg sißen, und es gab laut dem

Ausspruche Kaiser Karl's des Großen 811, 6. April (Mone ep. const. 574), von Altersher auch Kaftvögte, die Bescheidenheit und Billigkeit sich zur Lebensregel machten, wie Arnold von Lenzburg-Baden. Die Abtrennung der höchsten richterlichen Gewalt über Uri von der Verwaltung der Abtei in Zürich, wie sie als Reichsvogtei aus der Hand Kaiser Friedrich's an den Grafen Rudolf den Aeltern von Habsburg gelangte, der zu Steeg fich für Geleit und Zoll eine Burg erbauen ließ, mußte, als Verlegung der Immunitätsrechte des Ländchens Uri, allgemeine Klagen und Unwillen erregen, denen Tell, als ein kräftiger Sohn der Wildniß, durch persönlichen Widerstand gegen den Untervogt um so mehr Ausdruck gab, als er laut Erzählung, wie Nuß fie bringt, der Zustimmung seiner Gemeinde sicher war. In allen kleinen Gemeinwesen sehen wir bei uns seit Jahrhunderten Familienzwiste und Parteiungen, vorab in der Zeit der Welphen und Ghibellinen.

Um das Jahr 1230 zerfielen selbst Kaiser Friedrich und sein Sohn König Heinrich; ein solches Verhältniß schwächte die Macht des Reiches und gab, wie König Heinrich's Freiheitsbrief für Uri vom Jahre 1231 uns zeigt, Veranlassung zum Begehren der Urner, der Sohn möchte des Vaters Reichsvogtei-Verleihung wieder auflösen.

Wie uns Einsiedelns Urbarbuch erzählt, hatten die Kesseler in Schwyz nicht schüchtern bei den habsburgischen Lehen zugegriffen, die Untervögte, welche im Namen Kaiser Friedrich's II. die Vogteien der Aebtissin Zürichs verwalteten, sahen (G. v. Wyß G. d. Abtei Seite 73)

solche als verkäufliche Erblehen an; auch in Uri am Heingarten hatte Kesseler sich von der Aebtissin ein Stück zu Neugereute leihen lassen; es war also den Urnern nicht übel zu nehmen, wenn sie besorgten, die neue Vogtei möchte, wenn sie in Uri sich eine Burg erbaut, endlich auch Twing und Bann sich anzueignen suchen und diesem Vorgefühle im Namen Zwing-Uri Ausdruck liehen. Die Worte in König Heinrich's Brief, er sei bereit, Alles zu thun, was zum Wohl und Fortgang der Urner gereichen könne, bestätigen obige Ansicht materieller Besorgnisse. Die in Aufnahme kommende Reichsstraße über den St. Gotthard, welche als den kürzesten Weg zwi= schen Mailand und den Rheinstädten nicht blos Fußgänger, sondern z. B. 1234 im Mai auch ritterliche Hilfsvölker für Kaiser Friedrich II. (Savioli annal. Bolon. III, 1, 140) benüßten, mußte ausgebaut, unterhalten und gebessert werden. Den Zoll, der später (1313) auf hundert Mark berechnet wurde, bezog derjenige, welchem der Herr der Reichsstraßen oder Kaiser ihn geliehen hatte; nur nachdem Uri ein Reichsland geworden, konnte ein Eingeborner oder Landmann, welchem die Lehensfähigkeit nicht mangelte, den Zoll erwerben. So dachte das Völklein der Gotteshausleute St. Felix und Regula's in Uri wohl vom ersten Augenblicke an, als es hörte, die Reichsvogtei über Uri sei an den Grafen von Habsburg gelangt, an Befreiung von dieser weltlichen Vogtei und mag sich bei König Heinrich dafür verwendet haben. Wenn wir, wie Seite 7 und 8 aus Ruß erzählt wird, der Sage von muthwilligen Uebergriffen des Vogts in Uri, die ganz in die Zeit um 1230 passen, nur etwas

Glauben schenken wollen, so haben wir für ein ächtes Kind der Wildniß, das den Stürmen des Sees zu trogen und die grimmen Thiere des Waldes im rauhen Hochgebirge zu erlegen gewöhnt war, für Tell, dessen Nuf die Gemeinde zu versammeln vermochte, alle Umstände und Möglichkeiten der Zeit und Verhältnisse vereinigt.

Das Hochgefühl eines freien Mannes (war Tell ein altfreigebliebener Alemanne, wie wohl möglich, oder ein Regler) bewog den Sohn der Wildniß, dem neuen Untervogte Kesseler, der ihm an Adel der Geburt vielleicht nicht einmal gleichkam, sondern nur durch seine oder seines Vaters Wehrgehänge sich aus dem Staube eines gewöhnlichen Knechts erhoben *) fühlte, zuerst passiven Widerstand entgegen zu sehen, indem er sein Knie, das nur den Herrn des Himmels und seine wahrhaft gnädige Frau, die rechtmäßige Herrscherin in Uri, Judenta von Hagenbuch, Aebtissin in Zürich, zu grüßen gewöhnt war, vor dem Zeichen einer unrechtlichen, neueingedrängten Herrschaft nicht beugen wollte.

Die Strafe, welche der Vogt dem Tell für seinen Troß auflegt, seinem Kinde einen Apfel vom Haupte zu schießen, sieht nicht nur ganz nach dieser Zeit aus, als sich das Land- und Lehenrecht noch nicht so ausgebildet hatte, daß man es niederschrieb; sondern sie läßt die Vermuthung zu, Tell sei wirklich ein alter freier alemannischer Landsaß, oder ein Mittelfreier, dem der Unter

*) „Qui erexit eum de pulvere," sagt Innozens III. von dem groß gewordenen Marquard von Anwyl; der neue Nitteradel (equites gregarii Wipos) galt bei altfreien Leuten nicht viel.

vogt keine beleidigende Strafe nach Landrechts-Gewohnheit ohne Zustimmung seiner Standesgenoffen auf offenem Gerichte zu ertheilen sich getraute.

Nach vergeblicher Bitte um Nachlaß dieser Verfügung des Vogtes zeigt Tell seine Meisterschaft, deren allge= meine Bekanntschaft voraussehen läßt, Tell habe sich im Kriege als Schüße bewährt.

Tell's Schuß gelingt, und damit begnügt sich der Vogt. Als Tell aber nach Uri, d. i. in damaliger Zeit Altdorf, reitet und sich die Gemeinde versammelt, um seine Klage über des Untervogts Willkür und Grausamkeit zu vernehmen, da erst wagt Kesseler, ihn, einen Freien, als Störer des Landfriedens gefangen nehmen und binden zu lassen.

Der Vogt kam selbst in's Land Uri, um diesen ihm gefährlichen Rebellen abzuholen, der Sturm befreit den starken Sohn der Wildniß und sein erster Gedanke heißt ihn Blutrache nehmen an dem Vogte, der das Leben seines schuldlosen Knaben gefährdet hatte, obwohl ihm kein Blutbann zustand; denn damals noch ward so Etwas nur freien Herren verliehen, darum sehen wir die Vogtei von Lucern in der Hand der Freiherren von Rotenburg, die von Boswyl bei den Eschenbachern u. a. m. Jedenfalls hatte der Untervogt Kesseler in jeder Richtung seine Befugniß gegenüber Tell überschritten; dies kam aber in Abwesenheit der Herren damals bei Untervögten häufig vor und bildete einen Hauptgrund, sich solcher Vogtei zu entziehen, die damals als ein Eigenthum „possessio“ angesehen wurde.

Das „fur gon Ure" ist, wie bemerkt, im alten

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