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des Volkes ritt, ist anzunehmen, daß er kein unbedeutender Mann war.

Tell ist, wie ich früher schon sagte, ein alter Alemannen-Name, Abkürzung von Tello.

Den ältesten Tell in unserer Gegend finden wir 741 oder 742 zu Benken als Zeugen unter dem Namen Tallo in einer Vergabungsurkunde Beata's, der Tochter Nachinbert's und Gemahlin Landold's, an das Kloster Lüzelau. Cod. tradit. S. Gallens. N. 10. Goldaft II, 37. Neugart Cod. alem. I, 18. Gebr. v. Wyß neuer Abdruck des Cod. trad. S. Galli 6.

Ob Tailo, oder Tuilo, wie Goldaft gelesen, der 796 als Zeuge erscheint, auch dahin gehöre, ist eine Frage. v. Whß p. 45. Nr. 52.

In Uri gibt es ein Tellingen, d. h. ein Feld des Tello. Les Suédois apellent les prairies ang, ou inga.“ Acerbi voyage II, 110. Auf ingen endende Orte find in Uri nicht selten.

In Unterwalden finden wir Tellewile, den Hof des Tello; so auch Tellenpfad bei Hergiswile. Auch im nahen Zürichbiet ist ein Tellewyl und 1228 Tellinchon. Regest. Eins. 54.

Im Entlebuch erscheint urkundlich Tellemos, ebenso bei uns Tellebach. Geschfrnd. IV, 230.

Der Name Tello war also in der Gegend keine Seltenheit; mag sich auch, wie andere alemannische Namen, vielleicht als Erinnerung der Vorzeit (Spigname, nom de guerre) erhalten haben. In Chur machte Tello, Graf und Bischof Rhätiens zur Zeit Karl's des Großen, sich berühmt.

Dieser Tello, aufgewachsen in dem Uri nahen Kloster Dissentis, von welchem der 5750 Fuß hohe Kreuzlipaß nach Uri führt, war ein ausgezeichneter Mann; er ließ den Heiligen Sigisbert und Plazidus einen mit Figuren und Inschriften gezierten Earg machen, welcher das älteste Denkmal historischer Plastik bildet, und gab dem Kloster mehr, als sein Urahnvater Victor Dissentis entfremdet hatte. Es mag leicht sein, daß irgend eine Sage von diesem Tello in Uri sich erhalten hatte, oder wenigstens sein Name; er lebte im achten Jahrhundert, laut Eichhorn ep. cur. I, 24, 223. Cod. prob. 1-10.

Ob, wie Aschbach angibt, Tello „Zieler“ Schüße bedeute, wollen wir den Teutonisten überlassen, wir machen dagegen aufmerksam, daß im Lande Schwyz der alte Hunn (Hunno) im zwölften und anfangenden dreizehnten Jahrhundert in Quellenschriften gleichzeitig eben so einen alten alemannischen Namen führte. Viele Andere zeigen das Todtenbuch Mure's und das Jahrzeitbuch zu Willisau.

Der Apfelschuß, welcher auch in andern Ländern erzählt wird, gab Veranlassung zu verschiedenen Zweifeln. Schon in der Zeit Kaiser Friedrich's des Rothbarts waren die obern Lande berühmt durch ihre Schüßen; als Herzog Berchtold IV. von Zäringen, welcher sich verbindlich machte, eine bestimmte Zahl von Schüßen zum Heere des Reiches zu stellen, bei den Belagerungen von Tortona, Mailand und andern Städten zugegen war, melden italienische Zeitbücher *), daß diese Schügen

*) Joh. Cremonensis und aus ihm der Abt v. Ursberg: „qui

einzelne Krieger von den Zinnen der Thürme heruntergeschossen.

Wenn auch nicht zu läugnen ist, daß wohl schon früher ein Vater seinem Sohne einen Apfel vom Haupte zu schießen gezwungen wurde, so schließt dies offenbar eine Wiederholung in Uri keineswegs aus. Im Jahre 1862 geschah, laut Zeitungen, etwas Aehnliches in Frankreich; ein prahlerischer Vater schoß seinem Knaben ein Laternchen vom Haupte und wurde bestraft.

Der Vogt hat in der ältern Sage keinen Namen; noch vor 50 Jahren sprach man in den Dörfern Schwabens eben so von den Vögten, ohne nähere Namensbezeichnung.

Dieser Vogt nun saß nicht zu Küßnach, sondern in „der Burg" zu Schwyz, d. h. im Lowerzersee, auf einer Burg, deren kolossale Bausteine uns heute noch an der Ruine Zeugniß geben, daß sie von einem reichen Manne erbaut wurde. Laut gefälliger Mittheilung Hrn. Archivars Kothing in Schwyz heißt dieses Schloß im See zu Lowerts bei dem Schwyzervolke heute noch „die Burg". Sie war also der Sig der Herrschaft zu Schwyz und wurde erst lange nach ihrer Zerstörung Schwanau getauft. Kopp, Geschbl. II, 109-114.

Diese sehr feste Burg, welche in keiner unserer zahlreichen Urkunden des zwölften, dreizehnten und vierzehn

(Fridericus Imp. I.) consurgens cum exercitu Theutonicorum, vexillo suo commissa duci Zaringie, et in proviso super Hofer irruit et eos in fugam vertit, in quo conflictu captivati sunt mediolanensium plus quam trecenti et occisi fere sexcenti." J. E. Kopp, Geschbl. I, 156.

ten Jahrhunderts je genannt ist, wurde, so weit unsere geschichtlichen Quellen reichen, nie von einem Grafen von Habsburg bewohnt; eben so wenig das Haus zu Stans, von welchem man nicht wußte, ob es auf Herrn Albrecht's oder Rudolf's Vogtei stehe, 1239. Merkwürdig ist das Erscheinen des Hauses (Burg) von Stans (Geschbl. I, 54) jedenfalls, denn es beweist den Besiß der Habsburger Grafen in ruhiger Hand, während 1239 die Burg bei Lowerts schon eine Ruine war. Es ist schwer zu glau ben, daß man die Burg Roßberg, eine halbe Meile von Stans, unter dem Hause zu Stans verstanden, doch bietet Stans selbst und dessen nähere Umgebung wenig GeLegenheit zu einem mittelalterlichen Hause; konnte die Burg Schwyz, wie Ruß uns lehrt, im See zu Lowerts liegen, so konnte auf Roßberg auch das Haus zu Stans erbaut sein, das zu seinen Füßen liegt. Gehen wir wieder zurück zur Tellsage.

Auf Tell's Klage sammelte man die Gemeinde. Wie überall in Alemannien, gab es zu Altdorf eine Gemeinde, welche seit der Vergabung des pagellus Uranie an das Frauenstift zu St. Felix und Regula ihre Rechte eher gemehrt als gemindert haben dürfte; denn unter der Grundherrschaft einer in Zürich weilenden Aebtissin konnte eine Gemeinde, in welcher in der Karolingerzeit schon Freie, d. h. nicht leibeigene Grundbauern genannt wer den, leicht auch anderer Gotteshausleute soziale Stellung fördern helfen. Durch Tell's Klage vor der Gemeinde von Altdorf ist seine Gefangennahme weit natürlicher erklärt, als durch den zweiten Pfeil und die Rede Tell's nach der spätern Darstellung; eben so ist die Rache

Tell's, der hier an der Tellenplatte, sobald er frei geworden, zur Abwehr fernerer Unbilde den Vogt erschießt, weit edler und alemannischer Blutrache des Vaters gleichsehend, auch glaubwürdiger, mehr dem deutschen Volkscharakter zusagend, als das italienische Vorlaufen und Aufpassen im Hinterhalte eines Busches.

Uebrigens ist die Burg zu Küßnach, die der Vögte sowohl, als die des Meyers von Küßnach, so gelegen, daß, wenn der zu Erschießende in Weggis oder Küßnach selbst landet, ihm ein Auflauernder in der hohlen Gasse umsonst warten würde. War der Sturm so stark, daß die Schiffleute ihn nicht zu bemeistern vermochten, so landete der Vogt, wenn das Schiff ihm Gefahr drohte, weit eher an der Treib als in Brunnen, wo der Wind immer am heftigsten tobt.

Ruffens Chronik sagt, nachdem der Vogt todt ist: „demnach hubent sich groß stritt."

Es ist allerdings wahr, daß uns die historischen Bücher aus der Umgebung des Schauplages dieser Sage davon keine Meldung machen. Die Jahrbücher von Einsiedeln, Seedorf, Engelberg und Muri, auch die alten Todtenbücher und Jahrzeitbücher erzählen uns rein Nichts, was auf den Tod dieses Vogtes und die ihm folgende Erhebung bezüglich wäre. Diese Annalen find indeß so kurz und nur auf Dinge beschränkt, die betreffende Gotteshäuser, deren Wohlthäter, höchstens Reichsangelegen= heiten wichtiger Art oder große Naturereignisse, z. B. Erdbeben betrafen, daß auch nicht ein einziges politisches Ereigniß, z. B. die Ummauerung Lucerns, die Auflehnung der Lucerner gegen ihren Herrn, den Abt von

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