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I. Die Sage.

Alten Völkern gleich hat bei uns in der Schweiz die Tellsage sich als Grundstein des Freistaates erhalten und über die Gaue aller gesitteten Staaten ausgebreitet, wie wenig andere Heldensagen der Vorzeit.

Zu Küßnach am See der vier Waldstätte, so erzählt die bis auf unsere Zeiten gebildete jüngere Fassung der Tellsage, hatte der tyrannische geizige König Albrecht (1) seinen Reichsvogt Hermann Geßler (2), welcher auch über das freie Reichsland Uri gesezt war und zu Steeg, oben im Reußthale, sich eine Burg, Zwing - Uri, baute, um die freien Reichsleute in Uri an das habsburgösterreichische Haus zu bringen.

Zu diesem Zwecke ließ der Vogt Geßler zu Altdorf, im Hauptorte des Landes Uri, auf hohem Pfahle einen Hut aufpflanzen, vor welchem sich alle Vorübergehenden wie vor ihrem Herrn neigen sollten. Wilhelm (3) Tell, ein Urner, eingeweiht in die Verbindung, welche sich heimlich in den Waldstätten gegen die habsburg - öfterreichischen Vögte erhoben, schritt wiederholt an dem aufgepflanzten Hute vorüber, ohne sein Knie zu beugen. Der Vogt ließ ihn fangen und nöthigte ihn, als einen berühmten Schüßen, von seines Knaben Haupte mit der Armbrust einen Apfel wegzuschießen. Tell that es ge= Tell - Sage.

zwungen, steckte aber einen zweiten Pfeil in sein Gewand. Geßler, welcher dies bemerkt hatte, fragte den Schüßen, wozu er den zweiten Pfeil zu sich genommen? Als der Vogt dem mit seiner Antwort zögernden Tell seines Lebens Sicherheit gegeben, erwiderte der freimüthige Schüße: Herr, hätte der erste Pfeil mein liebes Kind verlegt, so würde der zweite Euch selbst gewiß nicht gefehlt haben. Darauf ließ der Vogt den gebundenen Tell an's Gestade des Sees führen, um ihn in seiner Burg zu Küßnach gefangen zu legen, seine Armbrust und Köcher nahmen die Knechte mit als Beweisstücke.

Auf dem von hohen steilen Bergen umgebenen See hob sich, unlange nachdem Geßler mit seinem Gefange nen abgefahren, ein furchtbarer Windsturm, dem die Schiffleute so wenig gewachsen waren, daß sie alle, die im Schiffe saßen, befürchteten, elend zu ertrinken.

Geßler's Diener, welche den Tell als einen überaus starken und gewandten Steuermann kannten, riethen, man sollte Tell losbinden und ihm das Steuerruder anvertrauen; dies geschah, Tell fuhr mit Sicherheit, erspähte sein Schießzeug am Steuerbord, lenkte das Schiff an einen Felsvorsprung, sprang auf die Platte und stieß das Schiff in den stürmischen See hinaus. Tell ging gen Küßnach, legte sich in eine gebüschreiche Hohlgasse und erschoß den heimreisenden Vogt. So erzählt ungefähr das neueste historische Volksschulbuch Aebi's 1862. I, 88-90; obwohl Seite 93-121 die neuere Forschung nachgetragen wird.

Seit Füßli's und Lüthi's Zeit hat man eingesehen, daß die Darstellungsweise Tschudi's und Johann von

Müller's in unserer Geschichte nicht Stich hält, namentlich verdanken wir Herrn Dr. J. E. Kopp gründlichere Forschungen, die er in allen Archiven der Eidgenossen= schaft seit dreißig Jahren, wie im Auslande, fortgesett und mit allem Rechte herausgefunden:

1. Daß König Albrecht nicht, wie Tschudi und nach ihm Joh. von Müller wähnten, ein Tyrann war, der das reichsfreie Uri zu unterjochen suchte und Vögte in den Waldstätten hielt;

2. Daß die urkundliche Geschichte niemals eines Hermann Geßler's, zur Zeit König Albrecht's, Erwähnung thut.

3. Weiß Jedermann, wer sich mit den historischen Weisthümern Uri's beschäftigt, daß da nur Edelleute oder Mittelfreie im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts nebst dem Taufnamen einen Beinamen von einer Burg oder Familie führten; daß aber, wie Kopp in den Geschichtsblättern genau nachgewiesen, die angebliche Familie Tell in Uri nirgends, weder in Urkunden noch Jahrzeitbüchern, so wenig als ein Hermann Geßler in König Albrecht's Diensten je aufzufinden ist. Wilhelm ist späte Beigabe, wohl von der Ueberschrift der Singweise: „Wilhelmus von Nafsowe Bin ich us deutscem Blot“

auf dem alten Tellenliede.

Man müßte einem langen Bücherverzeichnisse Raum gönnen, wenn man alle Abhandlungen für und gegen das Dasein Tell's hier aufzählen wollte; glücklicherweise hat Dr. Alfons Huber (Innsbruck 1861) in seiner Schrift: "Die Waldstätte und geschichtliche Bedeutung

Wilhelm Tell's" mit eben so großem Geschicke als Fleiße Alles gesammelt und zusammengestellt, was um ihn zu finden war, und wir dürfen diese kritische Schrift über die obige Darstellung der Tellsage jedem Leser mit Beruhigung empfehlen.

Daß das Sein oder Nichtsein der Tellsage aber nicht von einer falschen Datirung Tschudi's und seiner Nachbeter abhänge, habe ich 1857 in meinem Neujahrsblatte der Urschweiz, da ich zu Macerata den Quellen ferne stand, mehr angedeutet als ausgeführt.

Meine damals geäußerte Ansicht, dahin gehend, daß von Tell und Geßler zur Zeit König Albrecht's zwar keine Rede sein könne, wohl aber Tell's Existenz und That in einer weit ältern Zeit nicht nur nicht unhistorisch erscheine, sondern selbst durch viele geschichtlichen Vorgänge, Personen und Umstände bekräftigt werde, fand Beifall.

Ich hatte dazu folgende Gründe:

Erstens hieß die Tellenplatte schon im fünfzehnten Jahrhunderte so, wie sie noch heute genannt wird. Sie eignet sich auch, als Vorsprung am steilen Ufer des Arenberges, um da durch einen kühnen Sprung in's Trockene zu gelangen.

Zweitens. Obwohl nicht zur Zeit König Albrecht's, sondern beinahe ein Jahrhundert früher, ist die Vogtei von Uri und Schwyz in Einer Hand. Eben dieser kurze Zeitraum, in welchem urkundlich erwiesen derselbe Richter über Uri und Schwyz gefegt war, befestigt die Sage Tell's nicht nur sehr kräftig, sondern stellt uns auch mit ziemlicher Gewißheit die Zeit der Tellfsage fest.

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