Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

reichen und durch den Reichthum unabhängigen Hof und ein reiches glückliches Volk gehabt haben werde: daß dem nicht so war, hinderte die ganz eigenthümliche Ver fassung Mecklenburgs, die ein mit der egoistischsten Zähigkeit ausgebildetes Adelsregiment war und noch heut zu Tage ist. Dieses mecklenburgische Adelsregiment steht als ein merkwürdiges Dentmal für das gebil dete Deutschland geradezu einzig jest in der Welt da, seitdem Polen und neuerdings auch Ungarn niedergebeugt worden ist. Der mecklenburgische Adel, der in seinen größten und einflußreichsten Familien, wie in den Familien Hahn, Malzan, Bassewiß, Moltke u. s. w. altslavischer Abstammung sich berühmt, hat diese seine altslavische Abstammung bewährt, denn er hat sie in der mecklenburgischen Landesverfassung so charakteristisch ausgedrückt, wie der polnische Adel sie nur in der polnischen Landesverfassung ausgedrückt hat, die von einem tragischen Weltschicksal heimgesucht und gerichtet worden ist, das aber nur dem großen Weltgeseze folgt, daß die Menschen mit dem, womit sie sündigen, gestraft werden und daß es in der ganzen Geschichte und Politik so geht, wie man's treibt. Nicht beim Hofe, sondern beim Adel war und ist in Mecklen= burg die höchste Macht, der Adel Mecklenburgs maßte und maßt sich sogar noch heut zu Tage Souverainetätsrechte an, die anderwärts ganz unerhört sind, insonderheit das Recht, Mitglieder in die eingeborne Ritterschaft zu recipiren und von dieser Re: ception die Wahl zu Landräthen in den permanent in Mecklenburg sizenden engeren Ausschuß der Ritter- und

Landschaft abhängig zu machen. Der Hof stand und steht bis auf die neueste Zeit in einer merkwürdigen Abhängigkeit vom Adel, ganz so, wie in dem ehemaligen Polen. Dieser mecklenburgische Adel genoß und genießt noch heut zu Tage die Steuerfreiheit, die geringe feste Hufensteuer, die er seit dem Erbvergleiche von 1755 giebt, ist gar nicht zu erwähnen; auf den Landtagen dagegen bewilligt er die Steuern, die das Land aufzubringen hat. Die Bevölkerung des Landes, in beiden Herzogthümern 600,000 Menschen stark, umfaßt eine Scala sehr disparater, sehr ungleich berechtigter Eristenzen, die sich von den hochprivilegirten steuerfreien, landtagenden sechshundert Rittern herabzieht bis auf die andern we niger gottbegnadigten Existenzen der 200,000 Seelen, welche ohngefähr auf die Städte kommen und der 400,000 Seelen, welche auf dem platten Lande leben und bei denen bis zum Jahre 1820 die Leibeigenschaft, die berüchtigte medlenburgische Unterthänigkeit galt. Mecklenburg war das leßte Land in Deutschland, das sie aufhob. Die Ungleichheit der mecklenburgischen Berechtigungen tritt in den Städten zwischen den allein Landtagenden Magistraten und den nicht vertretenen Stadtbürgern, sie tritt aber am allergrellsten auf dem platten Lande hervor, das noch heut zu Tage gar nicht vertreten ist und wo auch noch, was die materielle Eristenz betrifft, die größte Ungleichheit herrscht: es giebt unter den 400,000 Landbewohnern wieder nur einige Hundert reiche Pächter und nur einige Tausend größere und kleinere Bauerneigenthümer, Erb- und Zeitpächter, kleine Büdner und Häusler, dagegen giebt es viele Tausende

von jezt, seit 1820, sogenannten freien Arbeitern, Koffathen und Tagelöhnern, die auf einem ganz ge= ringen Besißthum, einem Kartoffelland und einer kleinen Wiese, die etwa eine Kuh nährt, contractlich auf ein Jahr sißen und sonst mit Tagelohn sich nähren, als Pflügen, Mähen und Dreschen.*) Diese sogenannten freien Arbeiter mögen, weil sie jenes geringe precäre Landbesißthum haben, allerdings es noch besser haben, als die ganz besitlosen Fabrikarbeiter anderwärts, z. B. die vom Hungertyphus heimgesuchten armen Weber in Schlesien; ihre Existenz ist aber gewiß keine gottbegnadigte zu nennen, es genügt, das Einzige zu erwähnen, daß sie willkürlich ausgewiesen werden können, sich aber nur mit Bewilligung der Gutsherrn anderswo niederlassen dürfen, und daß sogar die Einwilligung zum Heirathen für diese sogenannten freien Arbeiter**) vom Willen der gnädigen Gutsherrschaft abhängt, die allerdings in

"

*) Das Verhältniß der Tagelöhner zu den Bauern ist ungefähr wie 8 zu 1. , Ueber die jeßige Stellung der vormaligen Leibeignen in Mecklenburg“, aus der Zeitschrift Atlas abgedruckt in den Rostocker Gelehrten Beiträgen, Jahrs gang 1840 S. 723. Die Tagelöhner. Mecklenburgs wohnen theils in den sogenannten Hefkathen in der Nähe der ritterschaftlichen Höfe und der Pachthöfe der Domainengüter, theils auf den Gehöften der Demanialbauern, theils endlich seit neuerer Zeit in den Wohnungen der Büduer, von wo sie auf den benachbarten Höfen, in den herrschaftlichen Forsten, beim Chauffeebau 2c. tagelöhnern.

**) Eigentlich handelt es sich nur um die Einwilligung zur Niederlassung, aber ohne deren Nachweisung darf keine Trauung geschehen, woher die vielen unehelichen Geburten (Niederfünfte) ftammen.

vielen Fällen höchst vernünftig bei noch allzugroßer Jugend der Supplikanten sie verweigert, sie aber auch aus untriftigen Gründen und aus Laune verweigern kann. Dieses Lohnarbeiterverhältniß, wie es bei dem größten Theile der Bevölkerung Mecklenburgs besteht, ist einzig in Europa, wenigstens in dem gebildeten Theile Europa's und kommt in dieser Ausdehnung nur noch unter verschiedenen doch milderen Modificationen in dem so tief heruntergekommenen Italien vor. Es giebt keine eigentliche Mittelclasse in Mecklenburg, wenigstens keine zahlreiche Mittelclasse, wodurch England z. B. troß seiner vielen ganz besiglosen Fabrikarbeiter so her: vorragt. Noch heut zu Tage ist Mecklenburg, dieser gesegnete, Kornjac", wie der große Friedrich das Land, das er so wenig wie Polen leiden mochte, nannte, das volksärmste unter den sämmtlichen fünfunddreißig deutschen Staaten und das mecklenburgische Landvolk, die vielen Tausende freier Arbeiter sind eine Tagelöhnerbevölkerung, die zu den ärmsten Bevölkerungen in Deutschland gehört. Noch heut zu Tage sind die Fürsten von Mecklenburg, altslavischer Abkunft, die ohnmächtigsten Fürsten von Deutschland, ja von Europa, es sind Fürsten, die von Alters her in der drückendsten Schuldenabhängigkeit lebten*), Fürsten, die, wie einer von

*) Schon Heinrich der Löwe von Mecklenburg, ein Urenkel des großen Welfen gleichen Namens, ein Sohn Heinrich's des Jerusalemers, der seinen Kreuzzug mit sechsundzwanzig Jahren Gefangenschaft in Egypten bezahlen mußte, war in solcher Schuldennoth. S. die Urkunde dieses kleinen mecklenburgischen Löwen, d. d. Gadebusch 3. Juli 1316, worin er sich gegen die Stadt Rostock zur Be

[ocr errors]
[ocr errors]

ihnen sich selbst ausdrückte, aus dem Nothstall", in welche sie ihr Adel altslavischer Abkunft gespannt und ihnen Hände und Füße gebunden hat, sich nicht zu befreien vermögen: noch der gegenwärtige Landesherr, der, und noch dazu mit einem gewissen Eigensinn, den libe ralen Ideen der Neuzeit zugeneigt war, hat schließlich sich nicht anders zu helfen gewußt, als alle Marquis Bosa'sche Volksbeglückungsideen mit einemmale über Bord zu werfen und das mecklenburgische Staatsschiff wieder ganz mit der altslavischen Segel- und Steuerführung zu regieren. Die mecklenburgische Regierung hat sich seit längster Zeit bemüht, das Land aus der seit dem Erbvergleich, seit gerade hundert Jahren bestehenden, heut zu Tage notorisch anerkannt geradezu finnlosen, auf der totalen Absperrung zwischen Stadt und Land basirten Finanz- und Steuerverfassung und aus Niederlassungsverhältnissen herauszubringen, die so eigenthümlich sind, daß man sie nur in einem Fabellande suchen würde *); die mecklenburgische Regie

zahlung einer Schuld von 4100 Mark wendischer Pfennige nach Einlagerrecht verpflichtet, zugleich mit „den berühmten und gestrengen Rittern“ (milites famosi et strenui heißt es in der Urkunde) Malhan auf Gadebusch, Moltke, Lühe, Pleffen, Blücher, Vreen, Derzen, Thun, Hasenkopf, Crammon, Berkhan u. f. w. bei Lisch, Urk. des Geschlechts Malzan I. S. 248.

*) Ein zufällig auf dem Lande Geborner muß grundgefeßlich auf dem Lande bleiben, damit die Gutsherrn immer wohlfeile Arbeiter haben können; die Stadt: Magistrate haben ebenso grundgeseßlich das Recht, auf dem platten Lande

« ZurückWeiter »