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Da ich auf die sprachliche und stilistische Eigenart Catulls ein besonderes Gewicht legen wollte, brachte ich in den Anmerkungen vielleicht mehr Lexikalisches als eben nötig; möge man den Fehler, wenn es einer ist, nicht zu hart tadeln: jedenfalls trägt er doch dazu bei, Catulls sprachgeschichtliche Stellung aufzuklären. Citate sind nur, soweit es die Rücksicht auf den Raum zuliefs, ausgeschrieben. Ich verdanke sie vielfach den Arbeiten anderer, besonders Ellis', im übrigen der eigenen Lektüre.

In der Feststellung des Textes verfuhr ich selbständig. An verdorbenen Stellen wählte ich aus den vorhandenen Vermutungen jedesmal die aus, welche mir ohne der Überlieferung zu fern zu liegen die stilgemäfseste zu sein schien. Einige Stellen (z. B. 6, 12. 64, 16. 114, 6) hoffe ich auch selbst berichtigt zu haben.

Ich gebe den Text in der Orthographie der guten Kaiserzeit. Da-Catull in dieser Beziehung in einer Übergangszeit lebte und wir aufserdem das Alte (wenn es das wirklich ist) in der Überlieferung so inkonsequent behandelt finden, dass sie keine völlig durchführbare Orthographie an die Hand giebt, verzichtete ich gern darauf, allerlei einzelne Archaismen, wie Furei, servos, nei, im Texte prangen zu sehen.

Die Lesarten von O und G, d. h. von V, fügte ich auf Bonnets Rat, und zwar nur um die Orientierung zu erleichtern, anspruchslos hinzu. Unwichtiges liefs ich dabei, vielleicht für diesen Zweck zu selten, weg.

Ich schliefse mit dem Ausdruck herzlichen Dankes für mancherlei Förderung meiner Arbeit an die HH. Prof. Dr. Wölfflin in München und meine Freunde Direktor Dr. Reinhardt in Detmold und namentlich Prof. Dr. M. Bonnet in Montpellier, dessen regem und ausdauerndem Interesse diese Ausgabe eine grofse Anzahl von fördernden oder anregenden Mitteilungen verdankt.

Frankfurt a. M., im Juli 1884.

Alexander Riese.

Einleitung.

Das cisalpinische Gallien trat bald nach seiner Unterwerfung unter Rom auch in das römische Kulturleben und in die römische Litteratur ein. Schon im Beginne des zweiten Jahrhunderts v. Chr. lebte der Insubrer Statius Caecilius zu Rom als angesehener Palliatendichter, gegen Ende desselben Zeitraums war der Bononienser Rusticelius als römischer Redner in seiner Vaterstadt thätig; besonders aber führte das letzte Jahrhundert der Republik gelehrte Verbreiter römischer Bildung nach Gallia togata (Sueton de gramm. 3) und litterarisch hervorragende Gallier nach der Hauptstadt. Der satirische Dichter M. Furius Bibaculus aus Cremona (geboren 103), der etwas jüngere Historiker Cornelius Nepos Padi accola, und der erotische und mythologische Dichter Valerius Cato, der Kritiker und Lehrer vieler jüngerer Dichter (geb. um 90), lebten in Rom gleichzeitig mit Catull, und mit ihnen sind der Kritiker Quintilius Varus aus Cremona (gestorben 24), Catulls dichterischer Freund Caecilius in Comum (c. 35), aus etwas späterer Zeit aber der Elegieendichter Cornelius Gallus aus Forum Iulii (geb. 69), der Epikureer Catius der Insubrer, der Didaktiker Aemilius Macer aus Verona, endlich der Mantuaner Vergilius und der Pataviner Livius zu erwähnen. So vollständig hatte sich in das Geistesleben der Hauptstadt die Heimat des Catullus schon eingelebt. Mit der römischen Kultur herrschten dort bald auch die römischen Namen, und wir finden z. B. den Gentilnamen Valerius häufig und in Verona nahezu hundertmal in den Inschriften vertreten. Die Familie der Valerii Catulli aber, die inschriftlich allerdings wenig erwähnt ist1), mufs in Verona eine angesehene Stellung eingenommen haben: stand doch der Vater des Dichters zu Čaesar in dem Verhältnis der Gastfreundschaft (Suet. Iul. 73). Er besafs ein Landhaus zu Sirmio am Gardasee2) (c. 31) und liefs

1) M. Annius Valerius Catullus auf einer Inschrift von Brixia (Corp. Inscr. Lat. 5, 4484) und L. Valerius Catullus M[essalinus] in Susa (ebenda 5, 7239).

2) Wo der Name 'villa di Catullo' heutzutage römischen Ruinen der späteren Kaiserzeit anhaftet.

es seinem Sohne in der üppigen Hauptstadt wie es scheint nicht an reichlichen Geldmitteln fehlen.

Das Geburtsjahr des Dichters war 87 v. Chr. Wenigstens berichtet Hieronymus in seiner Chronik zu ol. 173,287 v. Chr.: Gaius1) Valerius Catullus scriptor lyricus Veronae nascitur. Und dem entsprechend sagt er weiter zu ol. 180,457 v. Chr.: Catullus trigesimo aetatis anno Romae moritur. Leider macht die zweite Angabe Schwierigkeiten; denn da manche Gedichte des Catull auf Ereignisse der Jahre 55 und vielleicht auch 54 Bezug nehmen (vgl. z. B. c. 11, 29, 45, 55, 113), und man also genötigt ist, das Todesjahr des Dichters weiter herunterzurücken, so mufs man weiterhin entweder die Angabe trigesimo anno moritur oder aber die Ansetzung des Geburtsjahres auf 87 zurückweisen. Da nun keine Bezugnahme auf noch spätere Ereignisse als die des Jahres 54 bei Catull vorkommt, er auch nach Nepos Att. 12, 4 etwa gleichzeitig mit dem 55 gestorbenen Dichter Lucretius aus dem Leben geschieden sein mufs, betrachtet man jetzt einstimmig 54 als das Todesjahr des Dichters, während in Betreff des Geburtsjahres die Ansichten zwischen 87 und 84 geteilt sind 2); eine irrtümliche Beziehung der Konsulate (L. Cornelius Cinna war 87 zum ersten, 84 zum vierten male Konsul) könnte den Irrtum des Hieronymus (nicht seinen einzigen! vgl. Suetoni rell. ed. Reifferscheid p. 385 f.) veranlafst haben. Im ersteren Fall mag Hieronymus bei Sueton, den er excerpierte, einen Ausdruck wie trigesimum vitae annum non multum excessit oder dgl. gefunden und ungenau wiedergegeben haben.

Verona war die Heimat des Dichters, und wird als solche gerühmt von den zwei Dichtern, die ihn später am höchsten

1) Der Vorname Gaius ist durch diese und die damit übereinstimmende Erwähnung bei Apuleius apol. c. 10 sicher gestellt. Die frühere Annahme des Vornamens Quintus beruhte auf Plinius nat. hist. 37, 81, wo diesen aber nur interpolierte junge Handschriften, durch eine Verwechselung mit Q. Lutatius Catulus veranlafst, bieten, während die einzige zuverlässige Handschrift (der Bambergensis aus dem neunten Jahrhundert) den Vornamen ganz wegläfst. Aus jenen jungen Handschriften oder aus Gellius 19, 9, 14 oder Plinius epp. 5, 3, 5, die jenen Q. Lutatius Catulus als erotischen Dichter nannten, kam der Name Quintus in einige ganz frei bearbeitete, kritisch wertlose Handschriften des Catull, namentlich in den Datanus. Dagegen läfst bei Catull die reine Überlieferung den Vornamen einfach weg. Nach jenen Handschriften aber glaubte sich Scaliger in c. 67, 12 zu der natürlich unrichtigen Konjektur Quinte berechtigt.

2) Lachmanns Ansicht, wegen c. 52, 3 sei Catulls Lebenszeit auf die Jahre 76 bis 46 zu fixieren, ist in Schwabes musterhaft gründlichen Quaestiones Catullianae (Gissae 1862) p. 35 ff. 46 ff. widerlegt. Munro fügt dem hinzu, dass Catull den 76 oder 75 geborenen Pollio nicht wohl als puer hätte bezeichnen können (12, 9), wenn er nicht selbst merklich älter gewesen wäre.

stellten, von Ovid und Martial. Mantua Vergilio gaudet, Verona Catullo sagt jener am. 3, 15, 7, und dieser 14, 195: Tantum magna suo debet Verona Catullo, quantum parva suo Mantua Vergilio.1) Catull selbst nennt sich Transpadanus 39, 13; er dichtete einige Gedichte, die in Verona und dessen Nähe ihren Schauplatz haben (c. 17 u. 67, wo Veronae meae v. 34 allerdings nicht direkt auf ihn selbst geht) und weist in c. 35 und 68 auch auf späteren Aufenthalt daselbst hin (vgl. auch c. 4, 31).2) Auch die spätere Litteratur nennt ihn gern den Veronensis), und ebenso die Handschriften seiner Gedichte.

Aber schon früh verliefs Catull die gallische Heimat und folgte dem Zuge seines Herzens, der ihn in die Weltstadt führte. Romae vivimus: illa domus, illa mihi sedes, illic mea carpitur aetas sagt er schon in einem frühen Gedichte (68a, 34 f.), und nimmt dabei auf zahlreiche Liebesgedichte einer bereits vergangenen Zeit Bezug, wenn er sagt tempore quo primum vestis mihi tradita pura est (v. 15), also etwa im 16. oder 17. Lebensjahre, multa satis lusi. Über das Äufserliche seines Lebens in Rom, seinen Beruf u. s. w. erhalten wir keine Mitteilung: denn Poesie, Freundschaft und Liebe füllten sein Herz aus. Es ist begreiflich, dafs er zunächst in die Kreise seiner Landsleute eintrat: dafür zeugen uns seine Gedichte an die oben genannten Freunde Cornelius Nepos (1 vgl. iam tum ff. v. 5) und Valerius Cato (56), und das an Caelius und Quintius, den flos Veronensum iuvenum (100) 4), von welchen ihm ersterer in einer heftigen Liebe von Anfang an treu zur Seite stand (100, 3 ff.) und noch am Ende der Liebe zu Lesbia der Vertraute seines Kummers war (58). Aber bei seiner Wohlhabenheit war es für Catull leicht, auch in die höheren Kreise der römischen Gesellschaft einzutreten und, so dürfen wir annehmen, bei seiner liebenswürdigen Lebhaftigkeit und seinem Dichtertalent konnte er darin auf die Dauer eine angesehene Stellung und die Gunst der Frauen behaupten. Für seine Wohlhabenheit spricht, dafs er eine Villa und ein Landgut bei Tibur besafs (44), und zeugen deutlich die gelegentlich erwähnten Summen von ihm gemachter Ausgaben und an ihn gestellter Anforderungen (10,000 Sesterze: 41, 2; 103, 1; 100,000 Sesterze: 23, 26)5). So lebte er das Leben eines

1) Vgl. auch Mart. 1, 7, 2. 1, 61, 1. 10, 103, 5. 14, 100.

2) Vgl. ferner 43, 6. 100, 2.

3) Plin. n. h. 36, 48. Non. p. 546 M. Auson. (s. zu 1, 1). Macrob. 2, 1, 8. schol. Veron. zu Verg. ecl. 6, 1. Prisc. p. 16 H.

4) Auf Inschriften von Verona kommen Caelii (CIL. 5, 3360; 3441; 3570; 3689) und Quinctii (ib. 3517; 3572; 3719-23) vor.

5) Wie konnte man nur in den Worten tui Catulli plenus sacculus est aranearum 13, 8 je etwas anderes sehen als etwas Momentanes oder einen Scherz? Und ist nicht 26, 4 ebenfalls aus der Stimmung des

Hauptstädters, lernte dabei bald rus und provincia recht von oben herab anzusehen (22, 14. 36, 19. 43, 6), und verwickelte sich denn auch in die Liebesabenteuer, wie sie in der römischen Gesellschaft gäng und gäbe waren. Von der heftigsten Leidenschaft wurde er für eine ungenannte Frau erfafst; um die Zusammenkünfte mit ihr zu vermitteln, öffnete sein Freund Malius, später einer Adoption zufolge Allius genannt, den Liebenden das eigene Haus. Aus c. 68, einem noch ziemlich frühen Gedichte, erkennen wir sowohl die anfängliche Macht der den Dichter beherrschenden Leidenschaft als auch die später wenigstens zeitweise eingetretene gröfsere Ruhe, ja Erschlaffung seiner Stimmung (vgl. 68, 51 ff. 135 ff. 160).

Diese Leidenschaft oder zum wenigsten die derselben entströmte Liebespoesie erlitt eine jähe Unterbrechung (68, 15 ff.) durch die Trauernachricht, dafs Catulls einziger und innig geliebter Bruder im fernen Troja gestorben war (68, 19 ff. 90 ff.), wohin der vornehme junge Mann vielleicht im Gefolge irgend eines Statthalters, in dessen cohors praetoria, gekommen war. Diese schmerzliche Botschaft erregte das leicht bewegliche Gemüt des Dichters auf das tiefste. Es ist aufserdem höchst wahrscheinlich, dafs sein bald darauf erfolgter Aufenthalt in Verona, wo er in der gedrücktesten Stimmung c. 68 schrieb, damit zusammenhängt: denn er wollte wohl sowohl den alten Vater zu trösten suchen, als auch die Angelegenheiten des Verstorbenen ordnen. Nicht nur dem Malius schlägt er damals die Bitte um heitere Gedichte ab, auch einem vornehmen Gönner, dem grofsen Redner Hortensius gegenüber verfährt er ebenso mit Berufung auf die Trauer um seinen Bruder (65, 5 ff.) und vermag nur mühsam sich zu der Übersetzung eines Gedichtes des Kallimachos (c. 66) aufzuraffen; überall klingt die Trauer durch. Doch schon das ziemlich bald auf 68 folgende c. 68b zeigt, wie die Liebe allmählich in C.s Gemüt zunächst neben der Trauer (68, 90 ff.) wieder ihren Platz einnahm.1)

Augenblicks zu erklären? c. 10 und 28 aber zeigen lediglich, dafs seine Hoffnung, sich in Bithynien zu bereichern, nicht nach Wunsch in Erfüllung ging.

1) Dafs die hier verherrlichte Liebe die zu Lesbia war, wird zwar allgemein angenommen und von uns S. 219 nicht bestritten. Steht dem aber nicht ein chronologischer Widerspruch entgegen? Wenn c. 68b zu 68a in irgend einer Beziehung steht, wie wir mit vielen annehmen, oder wenn es gar, wie andre meinen, mit ihm ein Gedicht bildet, so wird der Hinweis auf die alte Liebe, deren sich Allius annahm, v. 51 ff. und der auf die alten Liebeslieder, denen die Trauer jetzt ein Ende gemacht hat, v. 15 ff. denn doch wohl auch zusammengehören. Ist nun Catull 87 oder 84 geboren, und dichtete er jene Lieder, wie er selbst sagt, etwa im 16. oder 17. oder, etwas Übertreibung zugegeben, im 19. Jahre so fällt diese Liebesgeschichte spätestens ins Jahr 68 resp. 65. Die

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