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Die beiden Versöhnungsgedichte mit Lesbia sind durch den Fluch auf den greisen Cominius von einander getrennt:

107. Si quicquam cupido optantique obtigit unquam

108. Si Comini populi arbitrio tua cana senectas

109. Iucundum mea vita mihi proponis amorem.

Diese Beispiele mögen einstweilen genügen (— die Zahl derselben wird sich alsbald noch sehr vermehren) um auf die nicht wegzulengnende und durch keine Umstellung, die irgendwie gut geheissen werden könnte, zu entfernende Thatsache aufmerksam zu machen, dass Gedichte, die entschieden zusammen gehören, in der uns vorliegenden Sammlung nicht zusammen stehen, sondern durch ein heterogenes Gedicht von einander getrennt sind. Sehen wir uns nun zunächst die zwölf ersten*) auf die Dedication folgenden Gedichte an:

2a. Passer deliciae meae puellae

2. ... tam gratum est mihi quam ferunt

3. Lugete o Veneres Cupidinesque

4. Phaselus ille quem videtis hospites

5. Vivamus mea Lesbia atque amemus
6. Flavi delicias tuas Catullo

7. Quaeris quot mihi basiationes
8. Miser Catulle desinas ineptire

9. Veranni omnibus e meis amicis

10. Varus me meus ad suos amores

*) Ich sage zwölf, denn ich halte die drei Verse 2b für das Fragment eines. eigenen Gedichtes. Dass eine Lücke davor statt findet, darin stimmen wohl Alle überein. Auf die Angabe de Itali, dass hier in ihrem Codices eine leere Stelle wäre, ist freilich nicht viel zu bauen, denn ein Codex, den sie antiquissimus nennen, ist nicht selten eine interpolirte und emendirte Handschrift von keineswegs vorzüglicher Güte. In keiner der uns vorliegenden Handschriften findet eine solche Lücke statt, vielmehr sind die Verse unmittelbar an die vorausgehenden gereiht, aber hierin liegt freilich kein Grund für die Annahme der Zusammengehörigkeit, denn carm. 3 schliesst sich hier in gleicher Weise continuirlich an das Vorausgehende an, als ob es dazu gehörte. Eine Lücke vor 2b findet jedenfalls statt, eine Meinungsverschiedenheit kann nur darin stattfinden, ob die drei Verse der Schlussbestandtheil des vorigen Gedichtes oder eines eigenen Gedichtes ist. Ich bin der letzteren Ansicht und werde diese weiter begründen.

11. Furi et Aureli comites Catulli

12. Marrucine Asini manu sinistra.

Die hier durch Einrückung nach links hervorgehobenen Gedichte sind sechs Gedichte, die sich auf Catulls Liebe zu Lesbia beziehen, und zwar in chronologischer Reihenfolge. Die zwei ersten

2a. Passer deliciae meae puellae

3. Lugete o Veneris Cupidinesque

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gehören dem ersten Beginn der Liebe an von dem zweiten derselben wissen wir es zwar nicht genau, aber es steht dasselbe in einer entschiedenen Beziehung zu dem ersten, und sichtlich weist der sentimentale Ton, der darin herrscht, in eine frühere Zeit als cam. 5 und 7. Dann folgen die Gedichte, welche die glücklichste Liebesepoche verherrlichen:

5. Vivamus mea Lesbia atque amemus

7. Quaeris quot mihi basiationes

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und endlich wiederum zwei Gedichte aus der Periode des Zwistes und des völligen Verfalles jenes Verhältnisses, das erste wiederum sichtlich früher als das zweite denn das eine enthält in einem mehr launigen Tone die Ankündigung der Feindschaft, mit der es dem Dichter noch kein rechter Ernst ist, das andere zeigt die vollste Verachtung der nun völlig unwürdig gewordenen Lesbia:

8. Miser Catulle desinas ineptire

11. Furi et Aureli comites Catulli.

In diesen sechs Gedichten führt der Dichter die Stadien seiner Liebe zu Lesbia von Anfang bis zu Ende vor, es ist eine die Geschichte des ganzen Verhältnisses darlegende Auswahl seiner Lesbialieder: sie bezeichnen die Momente seines Lebens, die ihn am meisten bewegt haben und machen in dieser ihrer historischen Reihenfolge einen in sich abgeschlossenen Cyclus aus.

Aber die Gedichte dieses Cyclus folgen nicht unmittelbar aufeinander, sondern sind mit heterogenen Gedichten durchflochten, und zwar, so weit sie vollständig erhalten sind, sind dies sämmtlich Gedichte an liebe Freunde und Genossen von mildem warmen Tone, denn auch carm. 12 auf Asinius, den er mit einem ellenlangen Schmähgedichte bedroht, weil ihm dieser die sudaria Saetaba, die Geschenke seiner

lieben Freunde Verannius und Fabullus gestohlen hat, ist im Grunde nur ein Lobgedicht auf diese seine beiden Freunde. Durchflochten aber sind die sechs Lesbialieder mit diesen sechs heterogenen Gedichten in der Weise, dass entweder auf je Ein Lesbialied Ein heterogenes, oder auf je zwei Lesbialieder zwei heterogene folgen. Dies eigenthümliche Princip der Anordnung herrscht in derselben Weise nun auch für die weiteren Gedichte; Catull hat sich die Mühe gegeben, die kleineren in melischen oder jambischen Metren gehaltenen Gedichte (denn von diesen Gedichten des ersten Theiles sprechen wir zunächst) nach bestimmten Cyclen zu ordnen es sind ihrer fünf -: die zu einem jeden Cyclus gehörenden Gedichte sind derselben Situation entsprungen oder gehören historisch oder dem Inhalte nach zusammen, aber jedem dieser Gedichte ist ein heterogenes zur Seite gestellt, und zwar wie gesagt entweder so, dass auf Ein Gedicht Ein heterogenes, oder auf zwei Gedichte zwei heterogene folgen. Dass es Catull selber gewesen sein muss, der die Gedichte in dieser wunderlichen Weise, die lediglich einen picanten Gegensatz bewirkt, geordnet hat, leidet wohl keinen Zweifel. Wie hätte auch ein späterer Abschreiber oder Ordner dazu kommen können, das Zusammengehörige so gleichmässig von einander zu trennen? Das kann nur die Laune, ja wenn wir wollen die Marotte des Verfassers gethan haben, der bei diesen ihm so sehr ans Herz gewachsenen kleinen Lieblingen, diesen nugae, wie er sie in der Dedication an Cornelius bezeichnet, auch da wo er sie in Gesammtheit dem Publicum zusammenstellt, das nugari nicht lassen kann.

Ich sagte, in unserem ersten Theile seien fünf mit heterogenen Gedichten durchflochtene Cyclen zu unterscheiden. Der zweite reicht von 14a bis 29 (denn die Stellung des 13. Gedichtes kann ich erst weiter unten besprechen).

14a. Ni te plus oculis meis amarem

14. Si qui forte mearum ineptiarum

15. Commendo tibi me ac meos amores

16. Paedicabo ego vos et irrumabo

17. O colonia quae cupis ponte ludere magno

18. Aureli pater essuritionum

22. Suffenus iste Vare quem probe nosti 23. Furi cui neque servus est neque arca

24. O qui flosculus es Iuventiorum
25. Cinaede Thalle mollior cuniculi capillo
26. Furi villula nostra non ad austri

27. Minister vetuli puer Falerni

28. Pisonis comites cohors inanis

29. Quis hoc potest videre, quis potest pati.

Die primären Nummern dieses Cyclus, die wir nach links eingerückt, sind Gedichte voll Bitterkeit, voll heftiger oft ungeberdiger Sprache, in denen Catull gleich dem alten Archilochus seinem Hasse Luft macht. Carm. 16 gegen die Tugendheuchler Aurelius und Furius, die sich stellen als nähmen sie sittlichen Anstoss an dem Gedichte, worin Catull seinen Liebling Juventius verherrlict hatte, während sie doch selber dem schönen Knaben nachstreben. Carm. 18 und 23 verhöhnt den Aurelius und Furius wegen ihrer Hungerleiderei, voll grimmen schmutzigen Spottes, carm. 25 den geilen Dieb Thallus, carm. 28 verflucht die Statthalter Piso und Memmius der erste ist derselbe, gegen welchen auch Cicero seine maasslos grobe Rede in Pisonem gehalten, carm. 29 den gallischen Proconsul Cäsar, der seine miserabelen Günstlinge die Schätze der geplünderten Provinzen verschwenden lässt. Nur unter den Gedichten elegischen Metrums finden sich noch Schmähverse von ähnlicher Lascivität und Bitterkeit, aber die konnten eben des Metrums wegen hier keine Aufnahme finden. Dieser Cyclus von Gedichten fügt sich indess demselben Schicksale wie die Lesbialieder: es sind dieselben nämlich durchflochten mit Gedichten von Humor und Laune, voll gutmüthigen nicht böse gemeinten Witzes, wobei auch die Selbstironie vertreten ist. Carm. 14a eine scherzhafte Drehung an Licinius, ihn für die Langeweile, die er ihm verursacht, mit der talio zu bestrafen. Carm. 15 eine etwas gröbere, aber immer noch im Scherze gemeinte Drohung an Aurelius. Carm. 17 bietet einen alten Veroneser, der sein junges Weib nicht hütet, als Argeen-Opfer an; carm. 19 macht einen gutmüthigen Witz über die Eitelkeit des Suffenus, mit dem Geständnisse, dass wir alle unsere schwachen Seiten haben, carm. 21 wundert sich über den jungen Juventius, dass er sich den blassen Furius zum Liebhaber erwählt; in carm. 27 gesteht er einem Supplicanten, der ihm Geld abborgen gewollt, dass ihn die Gläubiger gezwungen, sein Landgut zu versetzen. Dazu das Trinklied 27 aus einem Hetärenkreise wie es scheint,

Der dritte Cyclus wird durch carm. 30 bis 43 gebildet:

30. Alphene immemor atque unaninimis

31. Paene insularum Sirmio

32. Amabo mea dulcis Ipsitilla

33. O furum optime balneariorum
34. Dianae sumus in fide

35. Poetae tenero meo sodali

36. Annales Volusi cacata charta

37. Salax taberna vosque contubernales
38. Male est Cornifici tuo Catullo

39. Egnatius quod candidos habet dentes
40. Quaenam te mala mens miselle Ravide
41. Ameana puella defututa

42. Adeste hendecasyllabi

43. Salve nec minimo puella naso.

Sieben Gedichte von 32 an beziehen sich auf Liebschaftsverhältnisse des Catull, freilich von ganz anderem Character als die Lesbialieder der ersten Serie: der Ton darin ist nicht der feinste, wie die novem fututiones bei der Freundin Ipsitilla, wie die Schilderung der Ameana, die durch den reichen Mamuera gewöhnt, dem Dichter ihre Reize nur um einen Preis verkaufen wollte, der den Verhältnissen des Dichters nicht entspricht. Auch mit dem jungen Vibennius, carm. 33, wird es wohl eine ähnliche Bewandniss wie mit Ameana haben, sein Vater hatte für dessen Reize einen hohen Preis verlangt, während sie nicht einen as werth waren. Auch Lesbia selber kommt hier vor, sie hat nach carm. 36 ihre Versöhnung mit Catull durch die cacata charta besiegelt dazu zwei schmutzige Gedichte über Lesbias spätere Liebhaber.

Nach dieser Sammlung erotischer Spott- und Schmutzgedichte folgen als vierter Cyclus anständige Gedichte erotischen Inhalts:

44. O funde noster seu Sabine seu Tiburs

45. Acmen Septimius suos amores

46. Iam ver egelidos refert tepores

47. Porci et Socration duae sinistrae

48. Mellitos oculos tuos Iuventi

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