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wie hier mehrere Seiten von einander fern. Daher sagt Sillig von jener Umstellung Scaligers: Omnes editores mirum in modum propterea eum laudarunt et quis unquam negabit, ingeniose illud factum fuisse? Sed propter codicum consensum omnia ita reposui, ut ante Scaligerum fuerunt, praesertim quum nullus unquam nobis demonstraturus sit, quomodo fieri potuerit, ut haec epigrammata in omnibus codd. tam longe a se disiungerentur et sine varietate in eo ipso loco ponerentur, ubi nunc sunt.

Nun, Lachmann hat eine völlig befriedigende Erklärung dafür gegeben, wie es möglich war, dass die beiden Hälften des Gedichtes. so weit aus einander versprengt werden konnten. Der Librarius der Handschrift, aus welcher die uns erhaltenen Codices stammen, ist es, der den Fehler begangen hat. In dem ihm vorliegenden Exemplare, aus welchem er die Gedichte abschrieb, bildeten jene vier Distichen noch Ein Gedicht, aber so, dass die zwei ersten Distichen Nulla potest am Ende einer Seite standen, die beiden letzten Nunc est mens am Anfange der folgenden. Wir wollen diese beiden Seiten vorläufig mit Lachmann pag. 69 und 70 des alten Codex nennen, und erst weiter unten darauf eingehen, weshalb und mit welchem Recht er sie so bezeichnet hat:

pag. 69 schliesst unten:

Nulla potest mulier tantum se dicere amatam
vere quantum a me Lesbia amata mea es,
nulla fides nullo fuit unquam in foedere tanta,
quanta in amore tuo ex parte reperta mea est.
pag. 70 fängt an oben:

nunc est mens deducta tua, mea Lesbia, culpa
atque ita se officio perdidit ipsa suo,

ut iam nec bene velle queat tibi, si optima fias,
nec desistere amare omnia si facias.

Der Abschreiber beging bei seiner Arbeit den Fehler, nachdem er pag. 68 abgeschrieben, die folgende (mit Nulla potest endende) Seite 69 zu übersehen, schrieb vielmehr erst die hierauf folgende (mit nunc est mens anfangende) Seite 70 ab und hat dann erst weiterhin die vergessene Seite 69 abgeschrieben, so dass nunmehr in der von ihm ge

fertigten Abschrift die beiden letzten Distichen nunc est mens ziemlich weit vor den beiden ersten Distichen Nulla potest stehen.

Die Verszahl von Anfang carm. 75 bis Ende carm. 87 beläuft sich auf 98, carm. 75 bildete wie gesagt den Anfang, carm. 87 das Ende einer Seite. Diese 98 Verse müssen combinirt Lachmann weiter eine bestimmte Anzahl von Seiten des Codex völlig ausgefüllt haben. Wollen wir annehmen, dass sie 2 Seiten des alten Codex angefüllt hätten, je 49 Verse auf der Seite, so würde das ein Codex sein, dessen einzelne Seiten ungewöhnlich viel Verse enthalten hätten. Deshalb nimmt Lachmann an, es hätten jene 98 Verse drei Seiten des alten Codex ausgefüllt, und zwar in folgender Weise:

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pag. 69.

81. Nemone in tanto
82. Quintia si tibi vis

eripere ei noli

83. Lesbia mi praesente
84. Chommoda dicebat
85. Odi et amo: quare
86. Quintia formosa est

87. Nulla potest mulier.

pag. 71. 88. Quid facit is Gelli .

89. Gellius est tenuis

90. Nascatur Magus ex

91. Non ideo Gelli

92. Lesbia mi dicit.

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Die pagina - Zahl zur linken Hand der Gedichte bezeichnet die Lachmannsche Annahme, die pagina-Zahl zur rechten Hand bezeichnet eine etwas modificirte Annahme Bergks, auf die wir weiter unten einzugehen haben. Nach Lachmann also war die Seitenordnung des Originals folgende:

pag. 67 (Vorderseite),

pag. 68 (Rückseite),

pag. 69 (Vorderseite) endet: Nulla potest,

pag. 70 (Rückseite) beginnt: nunc es mens deducta.

Der Librarius hat sie in folgender Ordnung abgeschrieben:

pag. 67 (Vorderseite),

darauf schreibt er mit Ueberschlagung von pag. 68 und 69 zuerst ab pag. 70 (Rückseite) beginnt: nunc est mens deducta,

dann die beiden überschlagenen

pag. 68 (Rückseite) und

pag. 69 (Vorderseite)

und geht darauf weiter zu pag. 71.

In jener von ihm vorausgesetzten Reihenfolge des alten Originals hat Lachmann diese Gedichte in seiner Ausgabe abdrucken lassen. pag. 70 enthält 30 Verse, pag. 68 enthält 36, pag. 69 enthält 32 Verse. Nichts desto weniger, sagt Lachmann, war in dem alten Codex die Verszahl oder vielmehr die Zeilenzahl einer jeden Seite dieselbe: eine jede enthielt 30 Zeilen wie pag. 70; von den 34 Versen der pag. 68 standen 4 am Rande, und ebenso standen von den 32 Versen der pag. 69 zwei am Rande. Dies motivirt er auf folgende Weise:

Auf pag. 69 haben die Distichen des carm. 84 folgende Reihenfolge:

84. Chommoda dicebat, si quando commoda vellet

dicere et insidias Arrius hinsidias.

credo, sic mater, sic Liber avunculus eius,

sic maternus avus dixerat atque avia.
Hoe misso in Syriam requierant omnibus aures,
audibant eadem haec leniter et leviter,
nec sibi postilla metuebant talia verba
cum subito affertur nuntius horribilis,

Ionios fluctus, postquam illuc Arrius isset,
iam non Ionios esse, sed Hionios

et tum mirifice sperabat se esse locutum

cum quantum poterat dixerat hinsidias.

Schon frühere hatten erkannt, dass das letzte Distichon an einer unrichtigen Stelle steht, dass es in älteren Handschriften vielmehr das zweite Distichon des Gedichtes gewesen sein muss. Lachmann sagt, diese falsche Stelle erkläre sich eben daraus, dass es ein Librarius vergessen und dann am Rande nachgetragen habe, ein späterer Abschreiber habe es vom Rande wieder in den Text seiner Abschrift, aber an eine unrichtige Stelle, nämlich an's Ende gesetzt.

Auf
pag. 68 stehen folgende zwei Gedichte nebeneinander:
77. Rufe mihi frustra ac nequicquam credite amico
(frustra? immo magno cum pretio atque malo),
siccine subrepsti mei atque intestina perurens
sic misero eripuisti omnia nostra bona?
Eripuisti heu heu nostrae crudele venenum
vitae, heu heu nostrae pestis amicitiae.

78. Gallus habet fratres, quorum est lepidissima coniunx
alterius, lepidus filius alterius.

Gallus homo est bellus: nam dulces iungit amores,

cum puero ut bello bella puella cubet.

Gallus homo est stultus, nec se videt esse maritum,

qui patruus patrui monstret adulterium.

Sed nunc id doleo, quod purae pura puella

savia conminxit spurca saliva tua.

Verum id non impune feres, nam te omnia saecla
noscent et qui sis fama loquetur anus.

Scaliger nimmt an, die zwei letzten Distichen des zweiten Gedichtes ständen am unrichtigen Orte, sie hätten ursprünglich den Schluss des vorhergehenden Gedichtes gebildet und hat sie hier in seiner Ausgabe abdrucken lassen. Lachmann ist derselben Ansicht. Er meint weiter: Diese falsche Stellung der beiden Distichen Sed nunc id, oder was dasselbe ist der drei Distichen Gallus habet fratres sei so zu erklären, Westphal, Catulls Gedichte.

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dass der Librarius eines älteren Codex diese drei Distichen Gallus habet fratres vergessen hatte und dann am Rande nachtrug; ein späterer Librarius übertrug sie von hier wieder in den Text seiner Abschrift, aber an die falsche Stelle. So hat denn pag. 68 zwar 36 Verse, aber doch nur 30 Zeilen, ebenso wie pag. 69 zwar 32 Verse, aber doch auch nur 30 Zeilen enthält.

Hierdurch hat Lachmann die in Rede stehenden 98 Verse auf 90 Zeilen,reducirt, und indem er diese 90 auf drei Seiten vertheilt, empfängt jede von ihnen 30 Verse. Auch auf allen übrigen Seiten des alten Catullcodex werden je 30 Verse gestanden haben, denn auch sonst ist in den meisten alten Handschriften die Zeilenzahl der Seiten dieselbe; der Librarius pflegte vor der Arbeit des Abschreibens die Seiten zu liniiren, und um gleiche Linienzahl zu bekommen, die Blätter des Codex mit einem spitzen, scharfen Instrumente zu durchstechen die so entstandenen Punkte bezeichnen ihm dann die Anfänge der Zeilen. Die Zahl der sämmtlichen Verse Catulls, welche jenen 98 resp. 90 Versen, mit denen eine neue Seite des alten Codex begann, vorausgehen, beläuft sich auf 2012, vorausgesetzt, dass, wie Lachmann es gethan, in dem Gedichte 65 sechs Verse hinzugesetzt werden, die sich hier nicht in den Handschriften finden, dass ferner in carm. 1 drei Lücken von je 1 Verse, in carm. 6 eine Lücke von 1 Verse und in carm. 51 eine Lücke des fehlenden Adonicus statuirt werden, und dass endlich von den offenbar unrichtig wiederholten drei Versen unserer Handschriften: compararier an sit (hinter 61, 49), languidior tenera cui pendens sicula beta (hinter 64, 386), iucundum cum aetas florida ver ageret (hinter 68, 49) die ersten zwei, nicht aber der dritte mitgezählt wird. Die hierdurch sich ergebenden 2012 Verse füllen, je 30 Verse auf eine Seite gerechnet, 67 Seiten (30.67 2010), es bleiben zwei Verse übrig, von denen Lachmann wiederum annimmt, dass sie durch irgend ein Versehen eines früheren Abschreibers an den Rand der Handschrift und von hier aus durch einen späteren Abschreiber wieder in den Text hineingebracht wären, also nicht mitgerechnet werden dürften. Die drei Seiten des alten Codex, auf welchen nach Lachmann die 98 Verse von 75, 1—87, 4 standen, sind demnach als pag. 68, 69, 70 der alten Handschrift zu bezeichnen; die letzten Gedichte unserer Catullhandschriften haben die 76. Seite des alten Codex ausgefüllt.

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Lachmann hat an den Rand seiner Ausgabe die sich so ergebende Paginirung des alten Codex hinzugefügt. Es dürften wohl schwerlich

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