der LITERATUR für die Jahre 1785 1800. i n ERGÄNZUNGSBLÄTTERN zur Allg. Lit. Zeitung diefes Zeitraums. Vierten Jahrgangs Erfter Band. HALLE, in der Expedition der Allg. Lit. Zeitung, und LEIPZIG, in der churfächfifchen Zeitungs- Expedition REVISION DER LITERATUR in den drey letzten Quinquennien des achtzehnten Jahrhunderts in 21007 A45 ERGÄNZUNGSBLÄTTERN Soppl.! 1785-1800 Zur Allgemeinen Literatur-Zeitung diefes Zeitraums. v.4 SCHÖNE KÜNSTE. LONDON, b. Stockdale: Odes of Anacreon, translated into english verfe with Notes, by Thomus Moore, Elqu. of the Middle Temple. 1800. 255 S. 4. (7 Rthlr.) W enn die unbeschränkte Bewunderung eines Originals den Beruf zum Ueberfetzer gäbe, fo würde diefer neue Ueberfetzer des Anakreon keinen feiner Nebenbuhler zu fürchten haben. In einer zier lichen Vorrede, in welcher die Nachrichten über das Leben des Dichters, gröfstentheils nach Bayle, gefichtet werden, fagt Hr. M. unter andern: Nach den enthusiastischen Lobfprüchen, welche Alte und Neue den Gedichten Anakreons ertheilt haben, dür-' fen wir kein Bedenken tragen, die Begeisterung zu geftehn, mit welcher uns ihre Schönheit erfüllt, oder fie unter die vollendetften Ueberbleibfel des Alterthums zu rechnen. Sie find ganz Schönheit, ganz Zauber! Unvermerkt führt uns der Dichter mit fich fort, und felbft in feinen Ausfchweifungen nothigt er uns, mit ihm gleich zu fühlen. In feinen verliebten Oden herrfcht eine Delicateffe der Schmeicheley, die fich bey keinem andern alten Dichter findet. Die Liebe war in feinem Zeitalter mehr ein unverfeinertes Gefühl, und der Verkehr beyder Geschlechter unter einander, war mehr von Leidenfchaft als Sentiment belebt. Die Menfchen wufsten noch nichts von den feinern Aeufserungen der Zärtlichkeit, welche den geiftigen Theil der Liebe ausmachen; ihr Ausdruck des Gefühls war demnach roh und ohne Mannichfaltigkeit, und die Poefie der Liebe war ihrer fchönften Reize beraubt. Anakreon -befafs indefs einige Ideen von Galanterie u. f. w. Seine Beschreibungen find warm, aber die Wärme liegt in den Ideen, nicht in den Worten. Seine poetifche Erfindungskraft zeigt fich auf eine höchft glänzende Weife in den allegorifchen Fictionen, die fo viele verfucht haben nachzuahmen, weil hie jedermann unnachahmlich findet. Einfalt ift der unterfcheidende Charakter diefer Oden, und fie ziehen durch Unfchuld an, während fie durch Schönheit bezaubern; fie find Kinder der Mufen, und man kann fagen, dafs fie melodifche Verle lispeln." Ein fo allgemein ausgefprochnes Urtheil über cine Sammlung von Gedichten, die anerkannt von fehr verfchiednem Werthe, aus verfchiednen Zeitaltern und von ganz verfchiednen Verfaffern find, kaun wenigftens für die kritifchen Einfichten und den Takt des Ueberf. keine günftige Meinung erregen; und da ihm die ächten, von glaubwürdigen Alten angefülırten Bruchftücke, Anakreons nicht unbekannt waren, da er fie fogar überfetzt und in feine Sammlung aufgenommen hat: fo mufs man fich um defto mehr wundern, dafs ihm die Verfchiedenheit des Tons und der Sprache nicht wenigftens einen leifen Zweifel gegen die Einheit und Untheilbarkeit der gewöhn lichen Sammlung eingeflöfst hat. Hievon aber ift er fo weit entfernt, dafs er fich an mehrern Stellen auf eine fchneidende Weife gegen die Kritiker erklärt, die das Alterthum der einen oder der andern Ode in Anspruch genommen haben, und alles, was die Vaticanifche Handfchrift als anakreontifch darbietet, mit abergläubifchem Eifer vertheidigt. Bey Gelegenheit des bekannten Odarion: ETÉ OG TAWY (Od. LIX. ed. Fifch.) macht der Verf. folgende Anmerkung: The Vatican Ms. pronounces this beautiful fi ction to be the genuine offpring of Anacreon. It has all the features of the parent: et facile infciis Nofcitetur ab omnibus. The commentators however have attributed it to Julian, a royal poet. Jedermann weifs aber, dafs es die Commentatoren nicht aus eigner Willkühr, fondern auf das Anfehen der planudeifchen Anthologie, dem Julianus beylegen, und dafs diefer Julianus nicht a royal poet, fondern ein Statthalter von Aegypten war. Der neufte Herausgeber der griechifchen Anthologie macht bey diefem Gedichte die Anmerkung: Huic odario nifi Juliani nomen adfcriptum effet, multi, qui antiquioribus magis quam recentibus delectantur, hoc genuinum Teji ratis factum effe, quovis pignore contenderent. Jam quid interfit inter hoc odarium et ea, quae fub Anacreontis nomine vulgo leguntur, equidem me non perfpicere fateor. At illa non magis funt veteris illius poëtae, quam epiftolae illae Menandri aut Demetrii inter Alciphronis Epiftolas ab his viris confcripta funt eine Stelle, die uns veranlafst zu bemerken, dafs Hr. M., indem er die mittelmäfsigften Produkte in anacreontifchem Sylbenmaafse bezaubernd und unnachahmlich findet, kein Bedenken A trägt, trägt, die Sammlung der zierlichen Briefe des Alciphron mit dem Prädicate of a moft ftupid book zu brandmarken. Was nun die Ueberfetzung felbft betrifft, fo läfst fich fchon darum, weil fie in den Feffeln des Reimes einhergeht, keine wahre Treue, kein Anfchmiegen an das Original erwarten; auch möchte überhaupt die poetifche Sprache der Engländer nicht das Medium feyn, durch welches die anfpruchlofe Naivetät der griechischen, und namentlich der anakreontifchen Poefie, ohne wefentliche Veränderungen zu leiden, gehen könnte. Die gegenwärtige Ueberf. gibt nun zwar die Gedanken des Originals in der nemlichen Ordnung, aber in einer auflöfenden und er weiternden Manier wieder, die den Schein der Leichtigkeit zerstört, und den Zügen, die im Original wie verloren stehen, eine fchwerfällige Wichtigkeit gibt. Wir wollen hier eine der bekannten Oden (XIX.) zur Probe der ganzen Manier unfers Verf. ausheben: Obferve when mother earth is, dry, Salbe mich, weil ich noch lebe, In der Oie an die Grille find die Worte Jépsos yλunuc pornc (du des Sommers füfser Bothe) in folgende Zeilen aufgefchwellt: For thou art mild as matin dews, And ever, when the fummer hues Nun noch einige Stellen, in denen dem Original ein ihm ganz fremder Witz geliehen wird. In der XXXI. Ode (ἐγὼ δὲ μηδένα κτις, Πιὸν δ ̓ ἐρυθρὸν οἶνον) Now I can ne'er a murderer be, The grape alone fhall bleed by me. ein Wortfpiel, das man indefs verzeihen mag, da es fich gleichfam von felbft aufdrang. Weniger die Antithefen in demfelben Gedicht: But I, whofe hands no quiver hold, No weapon but this flafk of gold; The trophy of whofe frantic hours is but a fcatter'd wreath of flowers. (ἐγὼ δ ̓ ἔχων κύπελλον καὶ στέμμα τοῦτο χερο σίν.) oder in der XX. Ode (καὶ μάργαρον τραχήλῳ) or line that envious pearls, that show fo faintly round that neck of fnow. Vorzüglich hat der Ueberf. den Schlufs der Gedichte durch Zufätze oder Veränderungen der Wendung bedeutender zu machen gefucht. Die XXX. Ode, deren Schlufs in einer treuen Ueberfetzung fo lauten würde: Und wenn einer ihn löfste, Then, hence with all your fober thinking! Since Nature's holy law is drinking ; I'll make the laws of Nature mine, And pledge the universe in wine! Diefe ganze Ode, welche im Original das Anfehen eines plötzlichen Einfalls hat, mit welchem der fröhliche Dichter beym Schmaufe die nüchternen Freunde zurückweift, ift von dem Aufmerkfamkeit gebietenden Obferve an, bis zu der epigrammatifchen Schlufswendung modernifirt. Und fo ift faft durch- ift hier fo gewendet: gängig jeder einfache Gedanke in zwey gespalten; jedem Satze ein Gegenfatz zugefellt, und gar oft das einfache und anfpruchlofe Bild mit dem üppigen Prunke des Witzes und rhetorischer Farben ausgeftattet. So lautet hier, um noch ein fprechendes Beyfpiel anzuführen, der Schlufs der IV. Ode folgendermaafsen: But now, while every pulfe is glowing, And bring the Nymph with floating eye, - To join the bleft elysian choir, With wine and love and bliffes dear, I'll make my own elysium here. welches gewifs niemand der Uebersetzung unsers Götz vorziehen wird: Nay, fhould they take the chains away, The little captive still would stay. If this, he cries, a bondage be, Who could wish for liberty. In der II. Ode fpricht der englische Anakreon wie ein Amadis: She gave thee beauty blush of fire, Ein Mufter eines verunglückten, nur durch den Tell me, tell me, is not this All a ftilly fcene of blifs? Who, my girl, would paff it by? Surly neither you nor I! WO wo wir mit Verwunderung die Anmerkung lefen: RONNEBURG U. LEIPZIG, b. Schumann u. Barth: Der nächtliche Schwimmer; oder Hero und Leander. Eine Reliquie für Liebende. Von Mufäus. 1799. Das kleine Epos von Hero und Leander gehört zu den gelefenften und am forgfältigften bearbeite- ten Reften des Alterthums. Mehreres mag hierzu beygetragen haben. Der geringe Umfang des Ge- dichtes, der romantifche Inhalt, die Mifchung von Sentimentalität und Sinnlichkeit in der Darstellung, die Anmuth des bisweilen witzigen Ausdrucks, und die Zierlichkeit der Verfification. Diefe Eigenthüm- lichkeiten fchreiben dem Ueberfetzer feine Pflichten auf das bestimmtefte vor: er darf fich keine Vernach- läffigung des Ausdrucks erlauben; feine Verfification kann nicht forgfältig genug gefeilt feyn. Nur die gröfste Vollendung kann ein Kunftwerk empfehlen, das auf kein andres bedeutendes Verdienft fonderlich Anfpruch macht. Wir können nicht finden, dafs der Ueberf. (deffen Namen in der Vorrede des Her- ausg. mit W. Gke. bezeichnet ift) diefe Forderungen in einem vorzüglichen Grade erfüllt hätte; der Her- ausg. kündigt die Arbeit als eine der erften Blüthen der Mufe feines Freundes an, und in der That kann fie nur als Uebungsftück erträglich fcheinen. Sie ift nicht fonderlich genau; der Ausdruck nicht mehr als mittelmäfsig; die Verfification nachläffig und an vielen Stellen fehlerhaft. Eine einzige Stelle aus ei- Nimm mich zu deinem Gemahl: "ihn erreichte mit feinem Eros, und fchofs ihn für dich. So trieb den küh Ift dir bekannt; fie floh, bekümmert um ihre Keuschheit, ་ Das gemeine in den Ausdrücken, die wir hier durch Schnaubte als Amphibrachys u. d. m.) von gewählten Rhythmen aber findet man felten eine Spur. Ueberf. ift von Anmerkungen begleitet, die gröfs- tentheils äfthetischen Inhaltes find, bald die Fehler des Dichters rügen, noch öfter aber feine Schön- heiten ins Licht fetzen follen. Die Methode, wel- che der Verf. hiebey beobachtet, indem er das, was M. in Verfen gefagt hat, noch einmal in Profa zu- fammenftellt, um dadurch die Wahrheit der Darstel- lung fühlbar zu machen, führt zu keiner fonderlichen Gründlichkeit. Uebrigens beurtheilt der Verf. fo- wohl hier, als in einer befondern Abhandlung, (die, wie aus S. 54. erhellt, an der Spitze des Ganzen e- hen follte) den ästhetischen Werth des Originals rich- tiger, als man fonft von eingenommenen Ueberfet- |