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X. Biographisches.

Aus den vorstehenden Betrachtungen ergiebt sich für die Lebensgeschichte und dichterische Entwicklung Shakespeare's Folgendes:

Die frühesten erhaltenen Dichtungen Shakespeares sind kaum vor dem Jahre 1589 anzusetzen.

Die besonders bei englischen Biographen beliebte Annahme, Shakespeare habe damit begonnen, mit anderen Dichtern in Kompagnie zu dichten, ist eine Mythe. Nichts in den Jugenddramen weist auf eine solche Art der Entstehung hin. Shakespeare war von Anfang nur er selbst allein'. Allerdings hat er zuerst mehr handwerksmässig gearbeitet, Fortsetzungen zu älteren Stücken geliefert und von anderen verfasste Dramen umgedichtet. Auch hat er zuerst zeitgenössische Dramatiker mehrfach nachgeahmt und seinen Stil an dem anderer Dichter gebildet. Vor allen kommen hier Marlowe und Kyd in Betracht; der Einfluss Marlowe's dürfte indessen gewöhnlich ebenso überschätzt werden, wie die Einwirkung Kyd's unterschätzt wird. Greene und Peele stehen erst in zweiter Reihe. Shakespeare, dessen litterarische Bildung zuerst nur eine sehr dürftige gewesen zu sein scheint, hat sich indessen rasch auch durch Lektüre fortgebildet: Sidney's Arcadia und der Sonettencyclus 'Astrophel und Stella', Daniel's Sonette und die Klage der Rosamunde, Lyly's Euphues; Lodge's 'Glaucus and Scilla',

Novellen von Greene, vielleicht auch Spenser's und Constable's Gedichte scheinen ihm bald bekannt geworden zu sein. Auch wird er frühzeitig Ovid's Metamorphosen und Plutarch's Lebensbeschreibungen (die letzteren wohl nur in der Übersetzung von North) gelesen haben. Der Anfang der ChaucerLektüre fällt wohl erst in den Schluss der besprochenen Periode.

Der Dichter erscheint von Anfang an als eine scharf ausgeprägte, wenn auch sehr vielseitige und bildsame Persönlichkeit; er zeigt sich in seinen Dichtungen ähnlich, wie er seinen Grafen Warwick schildert: derb und etwas bäuerisch in seinem Geschmack und seiner Anschauungsweise, aber aristokratisch in seinen Neigungen und sittlichen Empfindungen, auch in seinem Ehrgeiz, als ein Mann von kräftigem, lebhaftem Temperament, voll von Lebenslust und Empfänglichkeit; zwar nur mit einem geringen Ballast von Schulbildung versehen, aber mit grosser Lernbegier, scharfer Beobachtungsgabe, sprudelndem Witz, und reger, wenn auch besonnener, Phantasie ausgestattet. 1)

Die Wärme und Lebhaftigkeit seines Empfindens äussert sich von Anfang an in der Vorliebe für rhetorische Fragen und Ausrufe; die Schärfe, und zugleich eine gewisse Bitterkeit seines Geistes, in der Neigung zum Sarkasmus.

Schon in seinen Erstlingsdramen verschmäht der Dichter den prosaisch-burlesken Stil früherer Historien und dichtet, dem Beispiel Marlowe's folgend, in Blankversen und in gehobenem, heroischem Ton. Allerdings ist sein Stil zuerst noch etwas trocken und steif, schlägt leicht ins Triviale, und andererseits ins forciert Bombastische um; allmählich wird die Schreibweise indessen schwung voller und kunstvoller. Zuerst liebt der Dichter hausbackene Vergleiche und Sprichwörter; allmählich wird die Bildersprache ge

1) Thomas Hardy hat einen ganz ähnlichen, echt englischen, Charaktertypus in dem Helden seines psychologisch interessanten, wenn auch höchst unerquicklichen, Romans 'Jude the Obscure' gezeichnet.

wählter und künstlicher; euphuistische Sentenzen (zunächst manchmal aus modischen Schriftstellern entnommene, bald aber auch neugeprägte) stellen sich ein. Wortspiele für die der Dichter von Anfang an eine grosse Neigung hat, werden allmählich geistreicher und charakteristischer. Rhetorische Figuren entwickeln sich: Antithesen, Parisonie, Echospiel, Antimetabole, mehr vereinzelt auch Anaphora und Klimax, Personifikation und Allegorie.

Das Jahr 1592 markiert einen bedeutenden Fortschritt und Umschwung in der geistigen Entwicklung: die Sprache wird blühender, phantasievoller und erhält ein mehr südliches, italienisches Kolorit; der Stil wird weicher, eleganter, virtuoser, pointierter, manierierter, künstlicher, die Darstellung in gleichem Masse anschaulicher und lebhafter, aber auch nervöser. Diese Stilentwicklung scheint zusammenzufallen mit dem Anfang der Sonettendichtung, mit den Liebessonetten (vielleicht auch mit der vermuteten italienischen Reise).

Während die ersten Dramen wenig ästhetischen Sinn verraten, bildet sich jetzt eine fast krankhafte Schönheitsschwärmerei aus. Das Naturgefühl, welches zuerst ganz naiv und frisch war, erhält allmählich einen Anflug von Sentimentalität. Naturbilder werden jetzt mehr idealisiert und mythologisch stilisiert dargestellt. Für Musik und Malerei entwickelt sich der Sinn in derselben kritischen Periode. Die Diktion wird rhythmischer und lyrischer, die Darstellung melodramatischer. Beim Scenenaufbau zeigt sich von nun an (Richard III) mehr und mehr die Neigung zu pittoresken und statuesken Effekten, und zu symmetrischer Gruppierung.

Von den frühesten bis zu diesen späteren Dichtungen lässt sich allmählich eine Veränderung des Interessenkreises und eine Erweiterung des geistigen Horizonts beobachten. In den frühesten Dichtungen wiegen die Interessen für ländliches und kleinstädtisches Leben noch entschieden vor: Ackerbau, Viehzucht, Schlächterhandwerk, Jagd, Falkenbeize; für das Tierleben zeigt der Dichter von Anfang an

viel Sinn. Dann verblassen die ländlichen Erinnerungen etwas, und Bilder aus dem Grossstadtleben treten mehr hervor: Bärenhetze, Tavernenscenen, das Treiben in den Strassen und am Hafen, Tumulte, Gerichtsverhandlungen. Irgend welche besonderen juristischen Kenntnisse und Interessen sind aber gerade in den Jugenddichtungen nicht nachweisbar, so dass die Hypothese, Shakespeare sei zuerst Advokatenlehrling gewesen, hinfällig wird.

Allmählich weht auch etwas Seeluft in Shakespeare's Dichtungen hinein. Ums Jahr 1592 werden die Marinebilder so lebendig, dass man wohl annehmen darf, der Dichter habe damals eine Seereise gemacht. Auch scheint gerade in den Jahren 1592-93 der Sinn für das Landleben wieder aufgefrischt worden zu sein.

Die Stimmung des Dichters, welche zuerst wohl vorherrschend eine düstere und verbitterte war, wie besonders aus der Neigung zu sarkastischer Ausdrucksweise und aus melancholischen Sentenzen hervorgeht, schlägt im Jahre 1592 in übermütige Heiterkeit um. Es ist dann wohl jene verhängnisvolle Liebesepisode gefolgt, die zeitweilig einen bitteren Nachgeschmack von Reue und Frauenverachtung hinterliess. Richard III. scheint zum Teil noch unter dem Einfluss tiefer Verstimmung geschrieben zu sein. Das Lustspiel von Verlorener Liebesmühe bezeichnet den Übergang zu einer harmonischeren und reiferen Lebensauffassung.

Im Einklang mit der allgemeinen geistigen Entwicklung steht die allmähliche Vertiefung und Verfeinerung des Seelenlebens und der Charakterzeichnung, welche sich in den Dichtungen kund giebt.

Zuerst (besonders in Henry VI. A und Tit. Andr.) ist die Charakterschilderung noch etwas grobfaserig; die Personen erscheinen meist als derbe, rohe, etwas ungeschlachte Naturen; im zweiten und dritten Teil von Heinrich VI. begegnen indessen schon edlere und sympathischere, wenn auch immer noch einfache, in Liebe und Hass elementare Charaktere. Stärker, als bei den meisten anderen Dichtern,

ist bei Shakespeare der Sinn für Humor ausgebildet. Bemerkenswert ist ferner, dass zunächst Familiengefühle, besonders Elternliebe, am meisten hervortreten, und die Darstellung von Liebesscenen etwas Steifes und Gezwungenes hat. Dagegen hat der Dichter von Anfang an eine Vorliebe für Kinderscenen.

Die Komödie der Irrungen bietet schon feinere Charakterzeichnung. Frauencharaktere werden allmählich natürlicher gezeichnet, während der Dichter zuerst nur Heroinen, Hexen, Megären und Buhlerinnen schilderte. In Richard III. haben die Frauen pathetische und rührende Rollen; in der Verlorenen Liebesmühe werden zum erstenmal vornehme Damen nach dem Leben dargestellt.

Die Liebessonette und Venus und Adonis zeigen, dass um dieselbe Zeit, vielleicht schon etwas früher, der sinnliche Reiz einer verführerischen Frau die Phantasie des Dichters gefangen genommen hatte. Dem entsprechend wird nun für einige Zeit auch in den Dramen die Liebesleidenschaft der eigentliche Hebel der Handlung.

So weit war die geistige Entwicklung des Dichters gediehen, als er daran ging, sein erstes Meisterwerk, die Tragödie von Romeo und Julia zu dichten.

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