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annehme, stützt sich besonders auf metrische und stilistische Kriterien, sowie auf eine Untersuchung des Wortschatzes; sodann auch auf die Anhaltspunkte, welche durch Entlehnungen, Nachahmungen und Anspielungen auf Zeitereignisse geboten werden.

Sowie erst die zeitliche Reihenfolge der Dichtungen richtig erkannt ist, entrollt sich ganz von selbst das Bild der geistigen Entwicklung des Dichters: die chronologische Perspektive eröffnet einen tieferen Einblick in sein inneres Leben.

Gern erkenne ich an, dass ich meinen Vorgängern auf dem Gebiet der Shakespeare-Forschung viel verdanke. Von Ten Brink und Brandl besonders, die eine neue realistische Schule der Shakespeare-Forschung begründet haben, bin ich vielfach beeinflusst worden. Auch den geistreichen und scharfsinnigen Forschungen von H. Conrad, A. Schröer, W. Wetz bin ich sehr verpflichtet, wenn ich gleich nicht in allen Resultaten mit ihnen übereinstimmen konnte.

Da ich in mehrfachen Gegensatz zu englischen Gelehrten gekommen bin, scheint es mir um so mehr geboten. zu betonen, welche grossen Verdienste sie sich um Shakespeare erworben haben.

Wir Deutschen bauen nicht nur mit dem Material der englischen Forscher, sondern zum Teil auch nach ihrem Plan. Insbesondere in der Chronologie sind Furnivall und Dowden unsere Lehrmeister gewesen.

Eine angenehme Pflicht ist es mir endlich, Herrn Professor Schick für seinen unermüdlichen Beistand bei der Durchsicht der Druckbogen auch öffentlich meinen aufrichtigen Dank zu sagen.

Kiel, Juni 1897.

Gregor Sarrazin.

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I. Heinrich VI., Erster Teil.

Um das Jahr 1588, als der englische Nationalstolz durch den siegreichen Krieg mit Spanien neue Nahrung erhielt, kamen auf Londoner Bühnen Theaterstücke auf, die Stoffe aus der englischen Geschichte behandelten: zuerst anonyme 'Historien', ohne irgendwelche poetische Bedeutung, dann anspruchsvollere historische Dramen von Peele, Greene, Marlowe und anderen. Das Publikum wollte nicht immer bloss von Griechen und Römern, Italienern und Spaniern, Türken und Tartaren hören, wie bisher, sondern auch von den Heldentaten der eigenen Vorfahren.

Der beliebteste Held war begreiflicherweise Heinrich V., der Besieger Frankreichs.

So erschien denn auch als eins der ersten dieser Theaterstücke die Historie "The famous Victories of Henry the Fifth', wohl noch vor 1588 aufgeführt, aber erst 1594 gedruckt. Es ist ein rohes, poetisch sehr unbedeutendes Schauspiel, welches nur insofern Interesse hat, als es etwa 10 Jahre später von Shakespeare zur Grundlage seiner Dramen von Heinrich IV. und Heinrich V. gemacht wurde, und in der Figur des Sir John Oldcastle das Prototyp des unsterblichen Sir John Falstaff bietet. Der Verfasser ist unbekannt.

Eine dramatische Fortsetzung

Sarrazin, Shakespeares Lehrjahre.

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Geschichts1

klitterung lag sehr nahe, welche die Ereignisse während der Regierungszeit Heinrichs VI. schilderte. Fiel doch in jene Zeit eine Fülle tragischer und hochdramatischer Begebenheiten, welche in der Erinnerung des Volkes noch lebten der englisch-französische Krieg, das Auftreten der Jungfrau von Orleans und der Bürgerkrieg der weissen und roten Rose.

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Die Erinnerung an den französisch-englischen Erbfolgekrieg wurde in den Jahren 1589-92 aufgefrischt durch den neuen Erbfolgekrieg, der jetzt wieder die Fluren Frankreichs verwüstete. Im Jahre 1591 sandte Königin Elisabeth dem König Heinrich von Navarra ein Hilfskorps unter der Führung des Grafen Essex. Im selben Jahre wurde Rouen belagert, die Stadt, in der die Jungfrau von Orleans verbrannt worden und ihr und dem englischen Nationalhelden Talbot Denkmäler errichtet worden waren.

Wenn im ersten Teil von Heinrich VI. (III, 2) abweichend von der Chronik Rouen (statt Evreux) der Schauplatz einer Belagerungsscene ist, so kann man deutlich das Bestreben des Dichters erkennen, sein Drama möglichst aktuell zu gestalten. 1)

Die Fortsetzung von Heinrich V., eine Historie aus der Zeit Heinrich VI. erschien um 1591/2 auf einem der Londoner Theater (der Rose) und muss alsbald einen ausserordentlichen Erfolg gehabt haben, denn der Schriftsteller Thomas Nash erwähnt in seinem Pamphlet Pierce Penniless' (1592 gedruckt): dass der tapfere Talbot, nachdem er zweihundert Jahre im Grabe gelegen hätte [was übrigens nicht

1) In demselben Drama (IV, 7, 61) werden die Würden und Ehrentitel Talbots aufgezählt, wie sie einst auf dem Grabmal Talbots in Rouen zu lesen waren. Es muss doch wohl, da in der Chronik nichts dergleichen angegeben ist, eine genaue Mitteilung zu Grunde liegen, die der Dichter von jemandem erhalten hatte, der schon in Rouen gewesen war. Die Stelle kann nachträglich eingefügt sein. Auf die der Jungfrau von Orleans in Rouen errichtete Statue wird an einer anderen Stelle (H. 6 a, III, 3, 14) angespielt.

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