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ersten daran, daß ein siebenzigjährigen Mann, ein König, der so viel in diesen Jahren erlebt hatte, hier eine zärtlich geliebte Schwester, die so unvermuthet ihren geliebten Sohn verloren hatte, trd: ften will: Wie simpel wie zweckmäßig ist alles! Wie sehr kannte der große Mann das Herz einer Mutter, das bey einer solchen Gelegenheit, bey einem warm bezeugten Mitleide sehr leicht stärker zu bluten beginnt. Er fångt mit ganz gewöhnli chen obgleich sehr wahren und hier sehr passenden Betrachtungen an. Er bemerket selbst, daß sie nicht tröstend sind. Wer wollte auch gleich nach einem so harten Schlage eine Mutter trösten wol len! Die beste Art ist, Theilnehmung zu zeigen, und der Natur ihre Rechte zu gönnen. Dieß that auch der königliche Bruder. Er versichert seine geliebte Schwester, daß Ihre Weisheit und Ihr großer Geist Ihr Kräfte geben werde, um ihreu gerechten Schmerz zu ertragen. Dann erst ers wähnt er mit dem zärtlichsten Schmerz den traus rigen Verlust fast nur ganz leise und in wenigen Worten, und geht von da mit inniger Empfindung ́. zu der Erinnerung über, daß Sie in Ihm einen Bruder habe, dem Sie das Glück seines Lebens ist. So schrieb Friedrich der Große, dieser so oft

verkannte Held, von dem so viele ausbreiteten, er wäre von Natur hartherzig.

Der zweyte Brief ist von einem so großen Manne, sechs Tage vor seinem Tode in der äußers ften Schwäche geschrieben, an eine geliebte Schwes fter geschrieben, um ihr Seinen Tod anzukündis gen. Aber welche Zärtlichkeit, welche schonende Besorglichkeit in diesen Stunden, wo er den Tod augenblicklich erwartete. Er nimmt nicht von Ihr Abschied, denn dieß hieße Ihr das Herz brechen. Er verheelt ihr aber auch den unvermeidlichen Tod nicht, denn das hieße Ihr eine vergebliche Hoffs nung machen †), die nachher in ein zärtliches Herz noch tiefer einschneidet. Er nennt ihr nicht eins mal den Tod, dem er so ruhig entgegen sah, weil er doch wußte, wie dieß Wort schon in das zarte weibliche Schwesterherz greifen würde. Er sagt nur voll Gemüthsruhe: „, Der Arzt, selbst ., der beste Arzt konnte mir nicht helfen. Alte más sen ja jungen Leuten Raum mächen, daß jedes

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†) Der König verbot, wenige Wochen vor seinem Tode, einem angesehenen Herrn Seines Hofes, der nach Braunschweig reisete, ausdrücklich und wiederholt: Seiner Schwester Seinen Zustand nicht leichter vorzustellen, damit Sie sich nachher nicht noch mehr kränke.

4. Menschenalter Plaß finde. Sterben und gebos »ren werden ist was wir während unsers ganzen ,, Lebens erblicken." Meiner Empfindung nach ist ein unbeschreiblicher Nachdruck darin, daß er hier Sterben vor Gebohrenwerden seht. Es liegt darin der frohe Blick in das wohlthätige Gesek : daß nichts in der Natur stirbt, daß jedes Untergehen ein neues Entstehen verursacht. Der Lehrdichter Witthoff redet in gleichem Verstande die Natur an:

Vollständig, ewig jung, unfähig zum Veralten, In täglich sterbenden und werdenden Gestalten, Bestehst du wie du warst, so wenig alt wie neu. Hier treten Wesen auf, da gehen Wesen unter. Du tilgst und zeugest stets, stets wirkend und stets

munter,

Sorgft du, daß jeder Tod ein Quel des Lebens sey.
Verschwindet auch die Pracht der abgelebten Floren,
So folgt ihr doch Pomona nach;

Wenn diese stirbt, wird jene neu geboren.
Das Grabmal wird ein Brautgemach. †)

Endlich! wie zärtlich ist es, daß der königl. Bruder feiner geliebten Schwester den unvermeidlich nahe bevorstehenden Tod zwar nicht verbergen will; aber ihr eine zufällige Erleichterung, von der er gewiß felbst nichts erwartete, doch noch meldet, doch ihr, Selbst

S. Witthofs Sokrates im I. Bande seiner Ges Dichte. S. 276.

selbst auf einen Augenblick, dadurch eine Erleichter rung schaffen will, und die Versicherung damit vers bindet, daß Sein Herz Ihr unveränderlich cra geben bleibe. Ach! er wußte wohl, daß er dieß zum lehtenmale schrieb!

Ich hätte vielleicht über diese zwey vortrefliche Briefe keine Anmerkungen machen sollen, da ihr Innhalt, und der große Mann der sie schrieb, nebst den Umständen in welchen er sie schrieb, schon genug ans Herz greifen. Aber es war mir nicht möglich, sie abdrucken zu lassen, ohne einigermaßen den Empfindungen Luft zu machen, die sich dabey in meinem Gemüthe so sehr drängten.

II.

Der Markis d'Argens ist als Schriftsteller bes kannt, und das Publikum kömmt über den Werth und Unwerth seiner Schriften ziemlich überein, of gleich viele sonst billige Leute der Freimüthigkeit und Wahrheitsliebe die er in seinen Schriften zeigt, nicht Gerechtigkeit genug wiederfahren lassen. Man vergißt, wie wenig man im J. 1736, da feine Lettres juives herauskamen, selbst in Frankreich über die gröbsten Religionsmißbräuche und über die Scheußlichste Intoleranz seine Meinung freymüthig

fagen

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sagen durfte. Man vergißt, welcher Muth damals Dazu gehörte, sich aus den groben Vorurtheilen der Erziehung herauszuziehen, und daß d'Argens diesen Muth hatte. Man bleibt nur bey den Mångeln seiner Schriften stehen, die er größtentheils doch mit den mehresten guten Schriftstellern seines Zeitalters und seiner Nation gemein hat. Eben so faisch ward der Markis als Mensch beurtheilt. Man rechnete ihm immer noch einige Unbesonnenz heiten seiner Jugend allzustreng zu seinem Nachs theile an, als er schon ein Mann war. Einige das von sind doch Jünglingen von einer so lebhaften Nation wie die französische, und aus der fröhlichs ften Provinz, der Provence, nicht ungewöhnlich; und überhaupt würde man alle nicht wissen, wenn er sie nicht mit seltener Offenherzigkeit, durch wels che er schon auf einige Vergebung Anspruch machen darf, selbst beschrieben hätte. †)

Ich will nur einen einzigen Beweis seines wahr. haft edlen Charakters anführen. Sein Buch: la Philofophie du bon lens ward von der Geistlichkeit in Frankreich äußerst verkehert. Sein Vater, erster

Prås

+) Mémoires et Lettres de Mr, le Marquis d'Argens Londres 1735. 12.

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