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Meinung Die Schweizer wären philosophische Köpfe, und es werde bey den Deutschen mehr durch philosophisches Råsonnement als durch Wiz ausgerichtet.

Eines Tages ließ mich der Markis gegen Abend zu einer ungewöhnlichen Zeit bitten, sogleich zu ihm zu kommen. Als ich erschien, nahm er mich mit einer ziemlich ängstlichen Miene bey der Hand, and sagte: Er komme unvermuthet in eine große Vers legenheit, die er mir unverzüglich entdecken müßte. »Ich finde, sagte er, bey Durchsicht der jüdischen »Briefe, zwey Briefe, worinn ich auf eine unans „ständige Art über die Schweizer gespottet habe. Ich war damals ein junger Mensch, der die Schweizerische Nation nicht genug kannte: ich "wißelte also über dieselbe; und Sie wissen, in » Frankreich wird ein wißiger Einfall weiter nicht », untersucht †). Aber wie soll ich mit diesen Bries „fèn vor der ernsthaften deutschen Nation erscheis »nen, vor einer Nation, welche den Schweizern »fo viel zu danken hat?", Man wird mich ,, verabscheuen!" sehte er mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit hinzu. Ich sagte ihm ganz geruhig,

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+) En France on ne raifonne pas fur un bon - mot.

es

es würde wohl so arg nicht seyn; wenn er aber body glaubte, den Schweizern unrecht gethan zu haben, so wäre nichts natürlicher, als in der deutschen Uebersehung diese beiden Briefe wegzulassen. Er fuhr fort:,,Das war es eben was ich wünschte, , aber ich traute mir nicht es Ihnen vorzuschlas »gen. Sie verlieren zu viel dabey; denn man

wird sagen, Ihre deutsche Ausgabe sey verstüma ,, melt." Ich konnte ihm freylich nicht geradezu sagen, daß ich so sehr viel dabey eben nicht vers lieren würde, sondern wendete die Sache nur so, daß ich sagte: Er möchte deshalb ganz unbeküm mert seyn, ich würde ihm dies kleine Opfer sehr gern machen, zumal da die deutsche Ausgabe durch: die vielen Vermehrungen schon große Vorzüge hätte. Er drückte mir sehr treuherzig die Hand, und sagte: „Sie nehmen mir einen Stein vom „Herzen; denn ich traute mir nicht, zu hoffen, daß "Sie so gefällig seyn würden. Aber Sie sollen

doch nichts dabey verlieren. Wissen Sie was? „Ich werde zwey andere Briefe machen, darinn "werde ich die Schweizer loben †)"

Die

t) Ecoutez! Je ferai deux autres lettres, dans les quelles je louerai ces gens-là..

Die deutsche Uebersehung der jüdischen Briefe, welche ich, wie gedacht, nur veranstaltete, um dem Markis ein Vergnügen zu machen, hatte nachher eine Wirkung, die ich wohl nicht vor aus sehen konnte. Sie erregte in den deutschen katholischen Ländern, besonders in Baiern und Dest reich (in welchem lehtern Lande damals noch alle einigermaßen freymüthige deutsche Bücher verbos ten, und folglich unbekannt waren), viel Sensas tion. Sie wurde häufig gelesen, und half; daselbst den ersten Samen freymüthiger Denkungsart aus: zustreuen. Es erwachten dadurch, wie ich aus sehr zuverlässigen Nachrichten weiß, nicht wenige Leute zuerst aus der stumpfen Bigotterie, worinn damals diese Länder versunken waren, und welche die Jes fuiten durch den abscheulichen Unterricht der Jus gend in ihren Schulen, und durch eine Menge, vermittelst des Beichtstuhls, für Frömmigkeit auss gegebener Pfaffereyen bis dahin so kräftig zu unter: Halten wußten. Noch bis jekt wird die Uebersetzung nach dem katholischen Deutschlande verlangt. Das Berdienst eines freymüthigen Schriftstellers steigt sehr oft im Verhältnisse der mangelhaften Begriffe seiner Leser. Den deutschen Protestanten konnten freylich die jüdischen Briefe nicht viel neues sagen.--*

XII.

Mein verewigter Freund Moses Mendelssohn ward mit dem Markis, durch mich, ohngefähr im Jahre 1760 bekannt, und gewann ihn wegen sets ner Gutherzigkeit und Naivetät sehr lieb. Der Markis schäßte von seiner Seite den vortreflichen Moses außerordentlich, und sie hatten zuweilen ins teressante Gespräche, auch wohl über philosophische Gegenstände.

Es war in Berlin ein gelehrter Jude, und Freund Moses Mendelssohns, Raphael. Er tries keinen Handel, sondern lebte bloß als Sprachmeis ster, da er der französischen, italiänischen und engländischen Sprache sehr kundig war. Durch öftere freymüthige Reden wider mancherley jus dischen Aberglauben, zog er sich das Mißfallen der Rabbiner und Judenältesten zu, welche gegen Ende des fiebenjährigen Krieges es mit Ernst dars auf aulegten, ihn von Berlin zu vertreiben. Um ihm einigen Schuß zu verschaffen, machte ihn Moses mit dem Markis d'Argens bekannt, der ihn bald sehr lieb gewann, sich von ihm im Hebräischen unterweisen ließ, sich fast täglich mit ihm von Lits teratur, besonders von der deutschen unterhielt, und ihn gewöhnlich seinen Engel Raphael nannte.

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Dieß war genug, daß die Judenåltesten vor der Hand sich nicht getrauten ihn anzutasten.

In den Unterredungen mit Raphael kam der Markis auch auf die Toleranz. Er bezeugte sein Erstaunen, daß in den Staaten Friedrichs des Großen noch Intoleranz herrsche. Er glaubte, die Judenåltesten hätten nur die Abwesenheit des Königs mißbrauchen wollen, um den guten Ras phael aus Berlin zu vertreiben. Er wunderte sich aber nicht wenig, zu hören, daß die Judenältesten durch die Geseße nicht allein berechtigt, sondern auch sogar verpflichtet sind, jeden Juden, der nicht entweder ein Schußprivilegium hat, oder im Dienste eines Schußjuden ist, ohne weitere Rechtsform, in der ersten Stunde, wo der Policey die Anzeige geschiehet, durch dieselbe aus der Stadt bringen zu lassen t).

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In jeber andern Stadt, wo der Jude kein Schußprivilegium hat, geschiehet eben dieses, und so wird jeder fremder Jude endlich bis an die Gränze des Landes gebracht. Der Sinn des Gesezes ist: daß der Jude an den Ort seiner Geburt zurückkehren foll, wo er den Schuß hat. Raphael pflegte zu fas gen: Ich bin in einem Dörfchen in Polen gebor ,, reu, das abgebrannt ist. Also þabe ich keinen Ger bartsort."

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